Nach zwei Fronten. 7
derselben Periode statt — wie wir nicht vergessen wollen —, wo Frank-
reich im Innern durch die Boulangerschen Treibereien erschüttert
wurde, wo zeitweilig der Friede auf der Schneide des Messers stand,
während man gleichzeitig die Pariser Weltausstellung vorbereitete, die
Weltausstellung, die der Welt den Beweis liefern sollte, daß Frankreich
sich von seinen Ai#ederlagen erholt habe und nicht nur militärisch, son-
dern auch gewerblich auf der Höhe der Zeit stehe.
Alexander III. schwankte noch immer, ob eine Präzisierung des
russisch-französischen Verhältnisses im russischen Interesse liege, und
die Boulangerschen Krisen konnten ihn in diesen Bedenken nur bestärken.
Es ist gar nicht zu bezweifeln, daß Zar Allexander stets weit von
kriegerischen Plänen, dem Deutschen Reiche gegenüber, entfernt gewesen
ist; er war überhaupt friedliebend. Ein wertvolles Urteil über den Cha-
rakter des Zaren gibt der verstorbene Graf Richard v. Pfeil, der neun
Jahre in russischen Diensten als Oberst des Regiments Preobraschenski dem
Zaren vielfach nahe gewesen ist, auch wohl dessen Vertrauen bis zu einem
gewissen Grade genossen hat. Von seiner Abschiedsunterredung mit dem
Zaren, sie fand im Jahre 1889 statt, sagte er: „Der Gesamteindruck, den
mir Kaiser Alexander III. machte, war der von mir lange vermutete,
daß er absichtlich von seiner Umgebung in einem tiefen Mißtrauen gegen
Deutschland gehalten werde, und daß sich dieses Mißtrauen nunmehr
derart in ihm eingewurzelt habe, daß an eine Anderung überhaupt kaum
noch zu denken sei. Er war von seiner Friedensliebe mit Recht über-
zeugt, glaubte aber auch allen diesen seinen Ratgebern und den sonstigen
maßgebenden Persönlichkeiten in Rußland, von denen viele den Frieden
durchaus nicht so wünschten wie er.“ — Zn dieser Charakteristik, die wir
auch durch die Politik des Zaren bestätigt finden, liegt auch ein gewisses
Schwanken eingeschlossen. Der Zar beklagte sich z. B. dem Grafen Pfeil
gegenüber, daß auf Betreiben Bismarcks alle wahren deutschen Freunde
Rußlands einflußlos gemacht würden. Im selben JLahre, ebenso wie zwei
Zabre vorber, 1887, versicherte er aber Bismarck mündlich seines beson-
deren Vertrauens und hatte nur die einzige Sorge, er werde nicht im Amte
bleiben. Wiederum berichtet Fürst Hohenlohe in seinem Tagebuche
vom Fahre 1892: Der Zar habe dem Kaiser gesagt, er habe alles Ver-
trauen zu Caprivi, wenn dagegen Bismarck ihm etwas gesagt habe, so
hätte er immer die UÜberzeugung gehabt „qu'il me tricherait“ (daß er
mich bintergehen würde). Und dieses Vertrauensvotum für Capridvi fällt in
dieselbe Zeit, wo die russisch-französische Militärkonvention zustande
kam, die Exaltationen der Kronstädter Feste ein Jahr vorber stattgefunden
hatten, und Caprivi eine Politik des Deutschen Reiches in die Wege ge-
leitet hatte, die sich von Rußland entfernte und auf eine intime Annähe-