Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Der letzte Alt. 459 
  
kunftsziele offen auf Zerschmetterung der Doppelmonarchie hinausliefen 
und das mit Rußland enger denn je verbunden war, bot sich für Öster- 
reich-Ungarn von selbst als Gegengewicht das gemißhandelte und rache- 
durstige Bulgarien. Jede Schwächung Bulgariens erschien als Schwä- 
chung der österreichisch-ungarischen Balkanstellung. Dieses waren wohl 
die Hauptgründe, weshalb der leitende Staatsmann, Graf Berchtold, 
eine Revision des Bukarester Friedens wünschte. 
Die Gesichtspunkte und Ziele der deutschen Politik waren hier andere 
als die des Bundesgenossen, teilweise ihnen entgegengesetzt. Die deutsche 
Rechnung war in großen Zügen etwa die folgende: Mit Österreich-Ungarn 
war man derselben Ansicht darin, daß das neue Großserbien unerwünscht 
sei und eine Friedensgefährdung erster Ordnung für die Zukunft bilde, 
außerdem die Stellung Österreich-Ungarns in einem europäischen Kriege 
militärisch sehr verschlechtere. Die Berliner Diplomatie suchte das Gegen- 
gewicht aber nicht in Sofia, sondern in erster Linie zu Bukarest, in zweiter 
zu Athen. In den Bukarester Friedensverhandlungen war es den be- 
sonderen deutschen Bemühungen gelungen, die am Agäischen Meere 
liegende Hafenstadt Kawalla auf Kosten Bulgariens für Griechenland 
zu gewinnen, ein Akt, welcher dem Deutschen Kaiser damals vom König 
Konstantin und dem griechischen Volke hoch ausgenommen wurde. Der 
Deutsche Reichskanzler hatte nach den Ergebnissen des ersten Balkan- 
krieges, als er die neue deutsche Militärvorlage begründete, mit Recht auf 
die um ein VBielfaches vergrößerte slawische Gefahr auf der Balkanhalb-- 
insel hingewiesen. Das war die Bereinigung Serbiens, Bulgariens und 
Montenegros unter russischen Auspizien: gegen ÖOsterreich-Ungarn und 
gegen das Türkische Reich. Durch die Beruneinigung Bulgariens mit 
seinen Bundesgenossen war nun zwar jene schlimmste der Balkankombi-- 
nationen zunichte geworden. 
Beiläufig bemerkt, wurde damit der deutschen Militärvorlage die 
sachliche Begründung keineswegs entzogen, denn die Balkanlage war 
im Verhältnis zu früher noch immer ungünstig, außerdem höchst un- 
sicher. Darüber hinaus aber war der Ubergang Frankreichs zur drei- 
jährigen Dienstzeit beschlossene Tatsache, und so sah sich die deutsche 
Militärpolitik auch insofern wieder in der Defensive und in der Not- 
wendigkeit, den Gegenzug zu tun. 
Oie Leiter der Politik des Deutschen Reiches waren der Auffassung, 
daß das nichtslawische Rumänien und das nichtflawische Griechenland dazu 
bestimmt und auch benutzbar seien, um mit den Zentralmächten ale Rück- 
halt der slawischen Gefahr entgegenzuwirken. Die dominierende Stel- 
lung Rumäniens auf der Balkanhalbinsel empfand und begünstigte man 
deohalb mit aller Genugtuung. Man verkannte dabei aber zweierlei,
	        
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