460 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914.
nämlich daß das rumänische Volk den Feinden der Zentralmächte inner--
lich weit näher stand als den letzteren, und daß von deutscher Seite nichts
getan worden war, um durch eine ständige, auf lange Sicht arbeitende
Propaganda jenen feindlichen und gefährlichen Einflüssen zu begegnen;
auch dieses sehr lehrreiche Kapitel gehört recht eigentlich in die Vor-
geschichte des Krieges. Rumäniens damalige weise, kräftige und dabei
maßvolle, den Zentralmächten treu zugewandte Politik stand auf den
beiden Augen des greisen Königs Karol. Daß nach seinem Tode die schon
damals das rumänisch-österreichisch- ungarische Berhältnis verbitternden
und erschwerenden Fragen der ungarländischen Rumänen einen noch un-
angenehmeren und folgenschwereren Charakter annehmen würden, war
sicher. Deutschfreundliche rumänische Diplomaten hatten bereits in den
Jahren 1911 und 1912 warnend bierauf hingewiesen. Was Griechenland
anlangte, so hatte es bisher unter der Vormundschaft der Westmächte
gestanden, aber König Konstantin, dessen Gattin bekanntlich die Schwester
des Deutschen Kaisers ist, besaß damals schon die politische Erkenntnis,
daß Griechenlands Zukunft es eher auf die Mittelmächte denn auf den
Dreiverband hinwiese. Eine solche Entwicklung konnte sich allerdings auch
im günstigsten Falle nur vorsichtig und langsam vollziehen.
Der von Osterreich-Ungarn gewünschten Revision des Bukarester
Friedensvertrages widersetzte sich das Deutsche Reich und erreichte auch,
daß die Revision unterblieb. Der König von Rumänien machte diesen
deutschen Anteil zu einem politischen Ereignis von europäischer Beden-
tung, indem er im August 1915 dem Oeutschen Kaiser drahtete: dank
ihm bleibe der Bukarester Friedensvertrag definitiv.
Die Trennung des DOeutschen Reiches von seinem Bundesgenossen
in den stizzierten Fragen war für den Augenblick unerwünscht und be-
dauerlich, ist aber ohne wesentliche nachteilige Folgen geblieben, wenn sich
die Dinge auch anders entwickelten, als man gedacht hatte.
Nachdem so die neue Gebietsverteilung auf der Balkanhalbinfel
geregelt und ein Friedenszustand hergestellt worden war, der ledig-
lich auf der Vergewaltigung Bulgariens beruhte, blieb die Lösung
der Albanischen Frage noch übrig. Das sogenannte unabhängige Alba-
nien war von der Londoner Konferenz beschlossen worden. Die Politik
des Dreiverbandes unter Führung Großbritanniens und in Berbindung
mit Italien war mit Erfolg bestrebt, die Grenzen des zu schaffenden
Albaniens so zu regeln, daß die Lebensunfähigkeit des neuen Fürsten-
tums von vornherein sicher war. Auf diese Weise würde, das war die
britische Berechnung, immer eine Albanische „Frage“ bleiben und sich
trennend zwischen Österreich-Ungarn und Ztalien stellen. Ein lebens-
fähiges Albanien, wie es Deutschland und Osterreich-Ungarn anstrebten,