Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Der letzte Aklt. 461 
  
hätte anstatt eines Zankapfels zu einem Einigungspunkte Italiens und 
der Ooppelmonarchie werden können. Auch Zwistigkeiten zwischen 
Ztalien und Griechenland über Südalbanien bzw. Nordepirus waren 
den Westmächten nur erwünscht. Die Serben aber wollten sich in ihrer 
steigenden Ausdehnungssucht und in ihrer Verachtung Österreich-Ungarns 
das „unabhängige Albanien“ nicht entgehen lassen und rückten in alba- 
nisches Gebiet ein. Die Folge war ein österreichisch-ungarisches Ulti- 
matum an Serbien mit der Naßgabe der Räumung des albanischen Ge- 
bietes. Nach vorübergehender Spannung gab Serbien nach, da auch 
die Mächte des Oreiverbandees die neue serbische Aktion politisch unzweck- 
mäßig fanden. Ahnliche Schwierigkeiten bestanden noch lange mit 
Griechenland wegen Räumung eines Stückes von Südalbanien. Als Fürst 
des unabhängigen Albaniens ließ sich Prinz Wilhelm zu Wied bereit- 
finden und bezog damit einen Posten, den er von vornberein als einen 
verlorenen hätte betrachten müssen. An und für sich war der Gedanke 
eines unabhängigen Albaniens zwar ein Notbehelf, aber trotzdem bei 
allseitigem guten Willen durchführbar gewesen. Aufrichtiger guter Wille 
war nur auf seiten Österreich-Ungarns und des Oeutschen Reiches vor- 
handen, und das genügte nicht. So wurde Albanien im Laufe des Jahreo 
1915 und 1914 bis zum Kriege ganz dem großbritannisch-französisch- 
russischen Programm entsprechend eine beständig offene und sich immer 
beikler gestaltende Frage. Es erwies sich nicht als möglich, eine rückhaltlose 
Einigkeit Ztaliens und Osterreich-Ungarns zu erzielen, insbesondere haben, 
wie sich nachträglich erwies, die italienische Regierung und ihr Bertreter 
im Fürstentum Albanien eine kaum mehr zweideutige Nolle gespielt. 
Der Fürst von Wied stand den an sich schon schwierigen Verhältnissen 
im Lande ebenso wehrloe gegenüber wie den internationalen Intrigen, 
in welche er sich und seine Aufgaben von allen Seiten verwickelt sah. 
Bom Standpunkte des Deutschen Reiches betrachtet, sah nach den 
Balkankriegen die Lage etwa folgendermaßen aus: 
Oie Rolle und Aufgabe der deutschen Politik und Diplomatie war 
von deren Leitern, wo es immer anging, als eine der BVermittlung auf- 
gefaßt worden. Oas Bestreben, in den italienisch-österreichisch-ungarischen 
Streitfragen und in dem Verkehre der beiden Mächte überhaupt ver- 
mittelnd zu wirken, war teilweise mit Erfolg gekrönt gewesen. 
Das Ziel der deutschen Politik bei ihren Bermittlungsversuchen 
war stete die Erhaltung des Friedens als Selbstzweck. Sie glaubte sich 
in diesem Ziele einig mit der Politik Großbritanniens, eine Ansicht, die 
insofern irrig war, als Sir Edward Grey, der auch damals den Frieden 
erhalten wollte, von ganz anderen Gesichtspunkten ausging als der deutsche 
Reichskanzler. Darüber ist bereite gesprochen worden. Grey wollte den
	        
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