Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

464 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
Mai 1915) an. Oie Herzlichkeit des Zusammenseins der drei Monarchen 
wurde als ganz außerordentlich bezeichnet und in Deutschland froh ge- 
priesen. Auch in Dingen der Balkanpolitik, so hieß es, befänden sich 
die Herrscher Großbritanniens und Rußlands ganz auf dem Boden der 
deutschen Auffassungen. Oie englische, die russische und die italienische 
Presse waren voll freudiger Rührung und sicherer Hoffnungen, daß dieser 
mächtige Bund der drei Herrscher die Grundlagen für dauernden euro- 
päischen Frieden und eine allgemeine Annäherung in hohem Maße festigen 
werde. Nur in Frankreich waren die Geister des Hasses zu stark, um eine 
derartige Maske tragen zu können. Die Berhandlungen in Presse und 
Parlament über die Einführung der dreijährigen Oienstzeit hielten die 
Nation fortwährend in hoher Erregung. Zugleich wurde bekannt, daß 
zwischen Frankreich und Rußland eine neue große Anleihe von zwei und 
einer halben Milliarde Franken zustande gekommen sei unter der Be- 
dingung, daß Rußland sich verpflichte, einen erheblichen Teil der Summe 
auf sofortige Ausgestaltung seines Eisenbabmnetzes nahe den deutschen 
Erenzen zu verwenden. Diesen Abmachungen, zu denen noch die Ver- 
pflichtung der Aufstellung von zwei neuen Armeekorps an den deutschen 
Grenzen kam, waren mit der überraschenden Entsendung Delcassés als 
Botschafter nach Petersburg verbunden; die Designierung Delcassés fand 
bereits im Februar 1915 statt. Auch diese Veröffentlichungen wirkten 
alo Fanfare auf das französische Volk. Dazu kam im Laufe des Jahreo 
1915 eine Anzahl von Zwischenfällen zwischen dem Deutschen Reiche 
und Frankreich. Im Frühjahr mußte infolge von Navigierungsfehlern 
ein Zeppelinluftschiff bei Lunêcville in Frankreich landen. Große Er- 
regung in Frankreich war die Folge und in Oeutschland gerechter Un- 
wille über die Behandlung der Besatzung des Luftschiffes und über die 
Untersuchung seiner Konstruktion. Deutsche Fliegerlandungen in Frank- 
reich und Mißhandlungen von Deutschen zu Nancy kamen dazu. Als 
dann im Spätherbst der sogenannte Zaberner Fall stattfand, nahm die 
französische Presse in einer Weise an den Vorgängen in Elsaß-Lothbringen 
teil, welche schlaglichtartig bewies, wie nahe das französische Volk den 
großen europäischen Krieg glaubte und wie zuversichtlich es ihm entgegen- 
sah, wie vollkommen es alle Ereignisse in den Reichslanden als franzö- 
sische Sache behandelte. Bereits seit einigen Zahren war es in fran- 
zösischen, großbritannischen und russischen Militärkreisen üblich geworden, 
die deutsche Armee, ihre Waffen, ihr Führer- und Menschenmaterial und 
ihre Leistungen in Manövern als geringwertig zu bezeichnen. Dazu 
glaubte man in Frankreich an eine große überlegenheit der französischen 
Fliegerwaffe und der Feldartillerie, vor allem auch an höhere Qualität 
des französischen Soldaten. Eine Schrift nach der andern erschien, welche
	        
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