Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

472 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
mehr denken könne. Weil man glauben wollte, diesen Ziel werde sich 
erreichen lassen, so blieb es richtunggebend für die deutsche Politik. Nach 
Maßgabe der wirklichen Lage und der Tatsachen war das Ziel nicht zu 
erreichen, weil die Grundrichtung der großbritannischen Politik und ihre 
Ziele sich weit von denen unterschieden, welche die Leiter der deutschen 
Politik, von ihren Wünschen bestimmt, annehmen zu sollen glaubten. 
Aus dem gleichen subjektiven Grunde gab man deutscherseits in der 
Frage der Militärmission nach, im Gedanken, man wolle die sorgsam ge- 
pflegte und hoffnungsvoll zu betrachtende deutsch-britische Verständigung. 
nicht durch entschlossenen Widerstand gegen den unberechtigten und un- 
willkürlichen Eingriff der Tripelentente unter Großbritanniens Führung 
in deutsch-türkische Angelegenheiten in Frage stellen. Dazu kam, daß in 
Rußland großer Unwillen über die deutsche Haltung in Sachen der arme- 
nischen Fragen herrschte. Rußland hatte die Gelegenheit nach dem Balkan- 
kriege benutzen wollen, um die armenischen Gebiete des Türkischen Reiches. 
der türkischen Autorität zu entreißen und unter die russische zu bringen. 
Hier setzte die deutsche Regierung, und zwar notwendigerweise sofort ein. 
Eine Durchführung der russischen Pläne hätte das Signal zum Beginn 
der Auflösung nun auch der Asiatischen Türkei gegeben. Deutschland 
würde sich die Freundschaft der Pforte verscherzt und bei ihr um Ansehen 
und Vertrauen gebracht haben, wäre sie hier nicht mit Festigkeit für die 
Türkei eingetreten. Man einigte sich schließlich über eine international 
gemischte Kontrolle der in Armenien durchzuführenden Reformen. Da- 
mit war vorläufig die Gefahr abgewendet. Rußland aber hatte keinen 
Zweifel über die Richtung auch seiner Orientpolitik gelassen. Die Hohe 
Pforte erkannte die Zeichen der Zeit auch nach anderen Seiten bin richtig 
und tat alle ihr möglichen Schritte, um tunlichst schnell auch einige kräftige 
Kriegsschiffe anzuschaffen. Maßgebend für dieses Bestreben war nicht nur 
die Gespanntheit der Beziehungen zu Griechenland, sondern in erster 
Linie der Hinblick auf die wachsende russische Gefahr. Ob man in Kon- 
stantinopel damals schon erkannte, welche Rolle die britische Marinemission 
eben dort spielte und fernerbin spielen sollte, muß dahingestellt bleiben. 
Die Türkei bestellte aber zwei große Schlachtschiffe bei britischen Firmen. 
Znzwischen hatten die Berhandlungen über die großen im Bau be- 
findlichen oder geplanten Bahnsysteme in Kleinasien und Sprien ihren 
Fortgang genommen. Sie wurden auf eine wesentlich breitere Basis 
gestellt, insofcern, als auch Frankreich sich beteiligte. Die großbritannische 
Regierung gab sich den Anschein, als ob sie, um die Aufrichtigkeit ihreo 
guten Willens gegen Deutschland zu beweisen, die orientalischen Bahn-- 
fragen glatt und vorbehaltlos gelöst zu wissen wünschte. In der Tat war, 
nachdem die vorher erwähnten Zugeständnisse am Golfende der Bahn
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.