Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

476 4. Abschnitt. Marokko und Balkan als Angelpunkte der Einkreisung. 1908—1914. 
  
bandes von drei großen Mächten, die durch Militär- und Marinekonven- 
tionen jeder Art miteinander verbunden sind und die, wie sie wußten, 
von niemandem bedroht waren, konnte nur der Vorbereitung eines 
gemeinsamen Angriffes dienen. Irgendein sonstiger Grund für diese 
ohne Beispiel dastehende Maßnahme war nicht denkbar. In Deutschland 
aber blickte man mit wachsendem Vertrauen auf den freundschaftlichen 
Charakter der deutsch-englischen Berhandlungen über Angola und die 
Bagdadbahn. 
Im April 1914 waren der König und die Königin von England zum 
Besuch in Parie, begleitet von Sir Edward Grey. Damals wurde die 
Schaffung einer Flottenkonvention zwischen Großbritannien und Ruß- 
land vereinbart, und die militärischen, maritimen und politischen Autori- 
täten der beiden Länder nahmen sogleich die erforderlichen Vorarbeiten 
und Vorbereitungen in Angriff. Der Inhalt dieses Flottenabkommens —. 
er ist nachher bekannt geworden — bewies wiederum den angrifflichen 
Charakter des Dreiverbandes. Unter anderem verpflichtete England sich, 
große Mengen von Transportschiffen zur Verfügung des russischen Gene- 
ralstabes zu halten, um eine russische Landung an der pommerschen Küste. 
zu ermöglichen. Auch für den Seekrieg im Schwarzen Meere wurden. 
eingehende Abmachungen getroffen. Im englischen Unterhause richtete 
man Fragen an Greyp, welche dieser, wie gewöhnlich, ausweichend be- 
antwortete. Er und der Premierminister Asquith hatten im Parlament 
und in ihrer Presse seit JZahr und Tag Wert auf die Betonung gelegt, 
daß Großbritannien sich nie an einem Angriffskriege beteiligen und einen 
französischen Rachekrieg gegen Deutschland mißbilligen würde. Es war 
das alte Spiel mit Worten, um das deutsche — so nützliche — Vertrauen. 
zu erhalten. Für die britischen Staatsmänner war es eine zum Abce der 
Politik gehörende Selbstverständlichkeit, daß jeder Krieg, an dem Groß--- 
britannien sich beteiligte, unter allen Umständen ein „Krieg der Ver- 
teidigung“, nicht des Angriffes sei. Auf Ursachen und Anlässe ist es in 
solchen Dingen für Großbritannien nie angekommen. Führt Groß- 
britannien einen Krieg, so stempelt es ihn zum Verteidigunge- 
kriege, und die Welt hat zu glauben, daß der ruchloseste Angriffskrieg. 
ein Krieg notgedrungener Berteidigung sei, weil eben Großbritannien. 
ihn führt. 
Trotz der unentwegt als hocherfreulich gerühmten britisch-deutschen 
Verhandlungen über Angola und die Orientbahnen, trotz des immer mehr 
wachsenden „gegenseitigen Bertrauens“ wurde die europäische Lage unter 
diesen Umständen zusehends gespannter. Die internationale Atmosphäre 
schien mit Explosionsstoff derart geladen, daß eine Steigerung nicht denk- 
bar war. Im Sommer weilte ein britisches Geschwader in russischen
	        
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