Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

Oie Rückversicherung und ihre Auflösung. 19 
  
1896, nachdem in der deutschen Presse behauptet worden war, das Ver- 
hältnis zwischen dem Deutschen Reiche und Rußland sei bereits unter 
dem Fürsten Bismarck schlecht und der Draht gerissen gewesen. Darauf 
brachten die „Hamburger Nachrichten“ in wiederholten Ausführungen 
die Enthüllung, daß bis zum Zahre 1890 eben jener Vertrag existiert habe, 
nachdem er im Jahre 1884 auf drei Zahre geschlossen und 1887 auf weitere 
drei Zahre verlängert worden sei. Begreiflicherweise erregten diese Mit- 
teilungen, die durch Kommentare anscheinend sehr gut informierter 
Wiener Zeitungen ergänzt wurden, ein ganz ungeheures Aufsehen. Im 
Deutschen Reichstage kam die Sache zur Sprache, und Freiherr v. Mar- 
schall stellte sich auf den Standpunkt, daß er nur theoretisch und aka- 
demisch über das von den „Hamburger Nachrichten“ behauptete Ab- 
kommen sprechen könne, denn wenn es wirklich existiert habe, so würde 
es zu den Staatsgeheimnissen gehören und sich infolgedessen jeder Er- 
örterung durch beamtete Personen entziehen. Die Beweisgründe des 
damaligen Staatssekretärs gipfelten im wesentlichen darin, daß ein solches 
Sostem doppelter und einander ergänzender Berträge den Nachteil habe, 
daß diese sich gegenseitig abschwächten oder gar entwerteten, die Ver- 
tragsmächte mißtrauisch machten und im Kriege wahrscheinlich versagen 
würden. Ein Staatêmann von der Autorität und den Fähigkeiten Bismarcks 
habe eine so komplizierte Vertragemaschine vielleicht beherrscht und lenken 
können, aber normalerweise müsse man sie als zu verwickelt bezeichnen. 
Auch für diese Argumente ist die Entstehung des Rückversicherungs- 
vertrages lehrreich. 
Im September 1884 fand im Schlosse von Skierniewice die Zusammen- 
kunft der drei Kaiser, Wilhelms I., Alexanders III. und Franz Josephs, 
statt. Sie bedeutete eine, wenn auch veränderte Auflage des alten Orei- 
kaiser-Bündnisses und gipfelte darin, daß die drei Kaiser einander wohl- 
wollende Aeutralität für den Fall zusagten, daß das Reich eines von ihnen 
angegriffen werden würde. Oie drei Herrscher waren begleitet von den 
verantwortlichen Leitern ihrer auswärtigen Politik: Bismarck, Giers und 
Kalnokpy. Unmittelbare Veranlassung und Zweck bildete die russisch- 
englische Spannung, außerdem die Besorgnis französischer Angriffs- 
gelüste und die Befestigung des Vertrauens zwischen Rußland und ÖOster- 
reich-Ungarn. ODie drei Kaiserreiche waren damit die Herren der euro- 
päischen Lage. 
1887 lagen die Verhältnisse erheblich anders. Die Spannung zwischen 
Rußland und Osterreich war, hauptsächlich durch die verschiedenen 
Balkanfragen, eine immer schärfere geworden, die russisch-französische 
Annäherung hatte Fortschritte gemacht, das Mißtrauen Alexanders III. 
gegen Deutschland befand sich auf einem Höhepunkte infolge der so- 
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