20 1. Abschnitt. Von Rußland zu Großbritannien. 1887—1894.
genannten bulgarischen Fälschungen. Es waren das gefälschte Depeschen,
die den Beweis liefern sollten, daß Bismarck in der Angelegenheit des
Fürsten Ferdinand von Bulgarien heimlich antirussische Politik getrieben
habe im Gegensatze zu der amtlich von ihm angegebenen und vertretenen.
Alexander III. kam im November 1887 für kurze Zeit von Kopenhagen
nach Berlin, und es gelang Biemarck, ihn auf einer Audienz zu über-
zeugen, daß die Depeschen gefälscht seien. Biomarck hat nach seiner
Entlassung wiederholt in so bestimmter Weise betont, der Zar habe
ihm damals völlig vertraut, und im Anschluß an jene Unterredung sei der
Rückversicherungsvertrag mit dem rrussischen Botschafter zu Berlin,
Grafen Schuwalow, erneuert worden, daß bierüber kein Zweifel möglich
ist. Es handelte sich also um einen Vertrag, der genau so beschaffen war
wie der von 1884, nur mit dem Unterschiede, daß Österreich-Ungarn
nicht dabei war. Unmittelbar nach jener Berliner Zusammenkunft er-
schien im „Pester Llopd“ eine wahrscheinlich inspirierte Darstellung der
Unterredung Bismarcks mit dem Zaren: Der letztere habe mit Bestimmt-
heit versichert, er wünsche die Erhaltung des Friedens und wiederhole
jetzt sehr gern die Versicherung, daß ihm weder ein Angriff gegen Deutsch-
land, noch die Teilnahme an einer gegen Deutschland gerichteten Koali-
tion in den Sinn komme. — Has ist ungefähr derselbe wie der viele Jahre
später von Bismarck bzw. den „Hamburger Nachrichten“ bezeichnete In-
halt des deutsch-russischen Bertrages: daß jede der beiden Mächte im
Falle, daß die andere von einer dritten Macht angegriffen würde, wohl-
wollende Neutralität zu beobachten habe. Der „Pester Llopd“ von da-
mals wußte freilich nicht, daß eine schriftliche Firierung des Abkommens
stattgefunden hatte, vielmehr deutet seine Drstellung nur eine münd-
liche Berständigung an ungefähr derart, wie im Zanuar 1911 durch das
Potodamer Abkommen stattfand.
Der deutsch-russische Bertrag von 1887 scheint durch die mündliche
Versicherung des Zaren ergänzt worden zu sein, daß er auch gegen ÖOster-
reich-Ungarn keinen Angriff plane. Äußerlich wurde jene Berliner Ab-
machung nur dadurch hervorgehoben, daß der russische Botschafter Graf
Schuwalow unmittelbar noch während der Anwesenheit des Zaren, also
sofort nach der Unterredung, den Schwarzen Adlerorden erhielt. Das
Abkommen selbst wurde auf den besonderen Wunsch des Zaren streng
geheimgehalten, während nach Biemarcks späterer Angabe das Oeutsche
Reich zur Geheimhaltung keinerlei Grund gehabt hätte. Unter dem
Siegel der Berschwiegenheit ferner wurde auch der Kaiser von Österreich
in Kenntnis gesetzt.
Wo lag der springende Punkt des deutsch-russischen Vertrages?
Seitdem sein früheres Besteben und seine spätere Nichterneuerung