Full text: Deutschlands auswärtige Politik 1888-1914.

58 1. Abschnitt. Bon Rußland zu Großbritannien. 1887—1894. 
  
und werden, wie ich hoffe, beitragen zur Sicherung des allgemeinen Frie- 
dens als Ziel ihrer Bestrebungen und ihrer beständigen Wünsche.“ Der 
Präsident Carnot sprach in seiner Rede an Bord eines Panzerschiffes 
von der Freundschaft der beiden großen Nationen und dem durch sie ge- 
sicherten Weltfrieden. Eine zweite Auflage der Touloner Feier fand un- 
mittelbar darauf in Kopenhagen statt, wo der Zar wie jeden Herbst bei 
seinen dänischen Verwandten weilte. 
Im Winter des Jahres 1893 waren die Bündnisverhandlungen tat- 
sächlich abgeschlossen. Die Unterzeichnung des russisch-französischen Bünd- 
nisses erhielt Anfang März 1894 die Billigung des Zaren. 
Am 15. März aber wurde zu Berlin das deutsch-französische Grenz- 
abkommen über die Grenzführung zwischen dem deutschen Kamerun- 
gebiete und dem französischen Kongo unterzeichnet. Am Tage darauf 
ging im Oeutschen Reichstage der deutsch-russische Handelsvertrag durch, 
in welchem die beiden Mächte sich die Meistbegünstigung zusicherten. 
Es war ein ironisches Zusammentreffen, aber vielleicht doch nicht 
ganz ohne tatsächliche innere Beziehungen, daß das Oeutsche Reich im 
selben Augenblicke mit den beiden Kontrahenten eines dem Oeutschen 
Reiche zum mindesten nicht freundlich gegenüberstehenden Bündnisses 
zwei Sonderabkommen einging. Die Politik des Reichskanzlers Caprivi 
sollte nach der Ansicht dieses Staatsmannes offenbar eine solche der freien 
Hand und einer gewissen politischen Borurteilslosigkeit sein; nach beiden 
Seiten! 
Zu Anfang des ZJahres 1893 machte der russische Thronfolger einen Be- 
such in Berlin, und kurz darauf erklärte Caprivi im Reichstage: es sei falsch, 
wenn wir uns um augenblicklicher Vorteile willen Rußland näherten. Die 
russisch-französische Annäherung behandelt der Reichskanzler in der Offent- 
lichkeit als einen Borgang, den man nicht habe hindern können, als einen 
Zustand, der wegen der Friedensliebe des Zaren nichts Bedrohliches für 
Deutschland einschließe. Gleichwohl müsse man auf alle Möglichkeiten 
gefaßt sein. 1895 wurde dem Reichstage eine Heeresvorlage unterbrei- 
tet, welche diesen Anforderungen Rechnung tragen sollte. Ob dem Reichs-- 
kanzler zum Bewußtsein gekommen ist, daß Rußland mit chemischer Not- 
wendigkeit zu Frankreich hin gezwungen worden war, weil er selbst es 
isoliert hatte, steht dahin. Caprivi hat anscheinend politisch nicht verstanden, 
daß die von ihm, von Waldersee und anderen erblickte russische Gefahr 
um so größer werden mußte, je enger das russisch-französische Berhält- 
nis wurde.
	        
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