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Die Lage zur See.
eine freiwillige Einschränkung des eigenen inneren Tätigkeitsgebietes.
Caprivi wies der Marine mit vollem Bewußtsein die Rolle der Küstenver-
teidigung zu und beschränkte sie auf diese. Seine damaligen Baupro-
gramme, seine Außerungen und Oenkschriften legen dafür Zeugnis ab.
Und es ist bemerkenswert, daß er gerade in diesem Punkte von seinem
Vorgänger in der Admiralität, dem General v. Stosch, durchaus abwich.
Diesem hochverdienten Manne hatte, wenn auch als Zukunftsbild, vorge-
schwebt, daß der Schwerpunkt der Tätigkeit der deutschen Flotte auf der
hohen See zu liegen habe und dementsprechend auch das Schiffsmaterial
für die Verwendung auf hoher See zu bauen sei.
In seiner Wirtschaftspolitik verfolgte der Reichskanzler v. Caprivi
die Grundsätze des Freihandels, soweit ihm das angesichts der deutschen
Verhältnisse durchsetzbar war. Er machte sich das — unzutreffende —
französische Wort zu eigen: Das neue Deutschland müsse entweder Waren
ausführen oder Menschen. Trotzdem kam ihm aber der Gedanke nicht,
daß eine so ausschließlich auf überseeischen Exporthandel gestellte Wirt-
schaftspolitik mehr als jede andere einer sehr starken Kriegsflotte bedürfe,
daß ein paar hundert kleine Torpedoboote an den Küsten und ein Dutzend
kleiner Kreuzer auf den Ozeanen nicht annähernd genügen konnten.
Man steht bier vor einem merkwürdigen Widerspruche. Bielleicht hat
Caprivi tatsächlich die Auffassung und den Wunsch gehabt, durch eine
enge Verbindung mit England werde die britische Hochseeflotte gewisser-
maßen selbsttätig als Surrogat für die fehlende deutsche eintreten und
dem deutschen Handel den nötigen Schutz leihen.
Die Lage zur See.
Die Behauptung ist nicht übertrieben, daß Kaiser Wilhelm II. mit
dem festen VBorsatze den Thron bestiegen hat, dem Deutschen Reiche eine
große Flotte zu schaffen.
Caprivi wurde als Chef der Admiralität sofort durch einen See-
offizier ersetzt und übernahm ein Armeekorpes, bis er, im Frühjahr 1890,
auf den Kanzlerposten berufen wurde. Das erste, was der neue Chef,
Bizeadmiral Graf Monts, und zwar auf Befehl des Kaisers, tat, war das
Einbringen der Forderung vier großer Hochseeschlachtschiffe. Sie bedeutete
Abkehr vom Küstenverteidigungsgedanken Caprivis, den ersten Schritt
zum Gedanken einer deutschen Hochseeflotte. Ihre weitere Entwicklung
auf diesem Wege wurde durch die Verhältnisse im Reichstage, durch das
in Oeutschland noch allgemein mangelnde Berständnis für die neuen
Ziele und durch eine nicht immer geschickte amtliche Bertretung um mehr
als ein halbes Jahrzebnt verzögert.