Full text: Von Potsdam nach Doorn.

nicht um des Kaisertums willen. Nicht eine ‚kaiserlose, schreckliche 
Zeit‘ hatte unstillbares Sehnen nach neuem „Glanz der Kaiserkrone‘ ge- 
zeugt, sondern ein großer Teil betrachtete Wiederaufrichtung des Kaiser- 
tums als das Mittel für die Einung, die anderen als das Mittel, um dieMacht 
der Könige und Fürsten zu brechen, die dritten wollten weder vom Kaiser- 
tum noch von anderen Monarchien wissen. Liegt nicht der Gedanke nahe, 
daß alles anders verlaufen sein würde, wenn ein zu dieser Aufgabe befähigter 
König von Preußen mit einem bedeutenden Manne als Berater bzw. Führer 
damals gelebt hätte? Mit anderen Worten: es war die Persönlichkeitsfrage. 
Eine Tat von reinem deutschem Idealismus darf hier nicht vergessen 
werden, nämlich die Gründung einer deutschen Reichsflötte, die zu einem 
großen Teil durch freiwillige Spenden aufgebracht wurde, alles während des 
Schleswig-Holsteinischen Krieges 1848 bis 1851. Diese Gründung und die 
schnelle Improvisierung der Ausrüstung, Bewaffnung und Bemannung, das 
kühne Vorgehen gegen dänische Kriegsschiffe, das alles war eine deutsche 
Tat. Der Schimpf, den der großbritannische Premierminister Lord Palmer- 
ston dieser kleinen Flotte und damit der Nationalversammlung und dem 
deutschen Gedanken antat: die schwarzrotgoldene Flagge als Piratenflagge 
behandeln und ihre Offiziere und Mannschaften aufzuhängen — ändert an 
dieser Anerkennung nichts und fällt auf den Mann zurück, der ihn aussprach. 
Bismarcks Preußen und die Deutsche Bewegung 
Die sogenannte Reaktionsperiode in Preußen, deren Staatskünstler das 
Rad wieder zurückzudrehen versuchten, nahm ein Ende, als Friedrich Wil- 
helm IV. die Zügel der Regierung seinem Bruder Wilhelm überlassen mußte, 
im Jahre 1858, zunächst als Regent. Ein Jahr vorher erkrankte er; die März- 
tage von 1848 hat er weder körperlich noch seelisch je verwunden. Der 
Regent (König seit 1861) bildete gleich ein neues Ministerium und erregte 
allgemeines Aufsehen durch eine Rede, in der er sich gegen die Orthodoxie 
wendete und das nachher viel mißbrauchte Wort sprach: Preußen müsse in 
Deutschland moralische Eroberungen machen, wie er überhaupt den Eini- 
gungsgedanken betonte. 
Zugleich aber erklärte Wilhelm, die Wehrkraft Preußens müsse reformiert 
werden. Er war von festem Charakter, militärisch Fachmann und zugleich 
politisch von gesundem klarem Blick fürTatsachen und hatte die Erkenntnis 
gewonnen, daß ohne genügende Macht keine Außenpolitik getrieben werden 
könne. In der Folge begann der Kampf mit dem preußischen Parlament um 
die Heeresreform, die Kammer lehnte mit großer Mehrheit die Militärforde- 
rungen ab, sie wurde aufgelöst; ihre Nachfolgerin zeigte eine noch größere 
104
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.