Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Mehrheit gegen die Vorlage, und zwar war es die neugegründete sogenannte 
Fortschrittspartei, die den Kern der ablehnenden Mehrheit bildete. Das war 
im Jahre 1862. 
Der König befand sich damit einschließlich seiner Minister in einer rat- 
losen Verlegenheit. Auf den wiederholten dringenden Rat des preußischen 
Kriegsministers General von Roon, der sich damit hoch verdient gemacht 
hat, berief er schließlich im September Bismarck nach Berlin, empfing ihn 
einige Tage darauf und sagte zu Bismarck: ‚Ich will nicht regieren, wenn ich 
es nicht vermag, wie ich es vor Gott, meinem Gewissen und meinen Unter- 
tanen verantworten kann. Das kann ich aber nicht, wenn ich nach dem 
Willen der heutigen Majorität des Landtages regieren soll, und ich finde keine 
Minister mehr, die bereit wären, meine Regierung zu führen, ohne sich und 
mich der parlamentarischen Mehrheit zu unterwerfen. Ich habe mich des- 
halb entschlossen, die Regierung niederzulegen, und meine: Abdikations- 
urkunde, durch die angeführten Gründe motiviert, bereits entworfen.‘ 
Der König zeigte Bismarck das Aktenstück. Nachdem Bismarck ihm er- 
klärt hatte, er sei unter allen Umständen bereit, den Kampf gegen den Land- 
tag zu führen, erklärte der König schließlich: ‚Dann ist es meine Pflicht, mit 
Ihnen die Weiterführung des Kampfes zu versuchen, und ich abdiziere 
nicht.‘ Die geschichtliche Entscheidung war gefallen. Was folgte, ist zu be- 
kannt, um einer Schilderung zu bedürfen. 
Was würde geschehen sein, wenn der König Bismarck nicht hätte kommen 
lassen, was durchaus im Bereich der Möglichkeit lag, denn nur auf stärkstes 
und wiederholtes Drängen von Roon hatte der König sich entschlossen, 
gerade den Mann an seine Seite zu rufen, der bei der gesamten demokra- 
tischen und liberalen Mehrheit aufs tiefste verhaßt war und als schroffer ein- 
seitiger Reaktionär galt! Ebenso möglich war, daß Bismarck sich weigerte, 
den Kampf gegen die Kammer zu übernehmen. Was dann ? 
Seine Abdikation hatte der König bereits entworfen. Wilhelm I. war 
nicht der Mann, mit einem solchen Gedanken nur zu spielen oder ihn als 
Druck- oder Drohmittel anwenden zu wollen, Hätte Bismarck sich ab- 
lehnend oder auch nur schwankend gezeigt, so würde er abgedankt haben 
und sein Sohn Friedrich Wilhelm wäre ihm als König gefolgt. Es kann 
keinerlei Zweifel unterliegen, daß dann der junge König dem Willen des Par- 
laments nachgegeben und eine entsprechend zusammengesetzte Regierung 
um sich versammelt hätte. Zudem war er mit der Tochter der Königin von 
England verheiratet, der englische Einfluß war sehr stark auf Liberali- 
sierung Preußens gerichtet. 
Die notwendige Reform der Armee wäre nicht bewilligt worden und 
Preußen unaufhaltsam auf den Weg des Parlamentarismus abgeglitten. Die 
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