Am Vormittag des 18. Januar sollte die Feier stattfinden. Der Großherzog
von Baden sollte den Kaiser ausrufen. Bismarck erzählt, wie er am Morgen
des 18. Januar noch nicht gewußt habe, wie die entscheidenden Wortelauten
würden. Der Großherzog von Baden erklärte dem Kanzler: ‚Als Kaiser von
Deutschland, nach dem Befehl Seiner Majestät.‘“ Bismarck setzte dem Groß-
herzog die Gründe dagegen noch einmal auseinander, wies mit besonderem
Nachdruck auf den Beschluß des Berliner Reichstags hin. Der Großherzog
begab sich dann allein zu König Wilhelm, und Bismarck harrte während der
Feier gespannt auf den Wortlaut der Proklamation: der Großherzog von
Baden umging die Schwierigkeit, wie Bismarck schreibt, dadurch: ‚daß er
ein Hoch weder auf den Deutschen Kaiser noch auf den Kaiser von Deutsch-
land ausbrachte, sondern auf ‚Kaiser Wilhelm‘. Kaiser Wilhelm nahm
Bismarck die Sache so übel, daß er während der Feier den Generalen die
Hand gab, den Kanzler aber ignorierte und in dieser Haltung mehrere Tage
verharrte.
Für uns heute hat das Wichtignehmen jener Schwierigkeiten und Kämpfe
eher das Wesen einer Groteske; aber so war einmal die fürstliche Atmo-
sphäre. Bismarck stand dem ganz nüchtern gegenüber, er betrachtete die An-
sprüche und Ansichten und Zwiespälte unter den Fürsten nur unter dem
Gesichtspunkt der nervenaufreibenden Schwierigkeiten, die sie ihm, dem
Kanzler, für die Durchführung seines großen Werkes bedeuteten. In dieser
Stimmung sagte er im Kreise seines Stabes im Hauptquartier: „Ich dachte
eben wieder einmal, was ich schon oft gedacht habe, wenn ich doch nur ein
Mal auf fünf Minuten die Gewalt hätte, zu sagen: so wird es, und so nicht!,
daß man sich nicht mit warum und darum abzuquälen, zu beweisen und zu
bitten hätte in den einfachsten Dingen. Dieses ewige Reden und Betteln
müssen !“
Den Stolz des Königs auf Preußen und dessen ruhmreiche Vergangenheit
und auf das Hohenzollernhaus mußte man an sich und kann man auch heute
durchaus anerkennen. Als König von Preußen war er durch eine jahrhun-
dertelange Vergangenheit angestammt und König aus eigenem Recht. Als
solcher fühlte sich König Wilhelm auf einer viel höheren Ebene — denn als
Präsident des Staatenbundes der deutschen Fürsten mit dem verfassungs-
mäßigen Titel ‚Deutscher Kaiser“. Es erschien ihm vollends als eine Herab-
setzung, eine Deklassierung, daß ein Reichstag in der von diesem beschlos-
senen Verfassung für den neuen Bund — ihm, dem König von Preußen, von
Gottes Gnaden und aus eigenem Recht, den Titel: ‚Deutscher Kaiser‘ zu-
zuerkennen, einfach beschließe. Er witterte darin das liberale Element,
dessen sich Bismarck bediente, um Kaiser und Reich zu machen. Man wird
auch in der Folge unserer Schilderung der nächsten Jahrzehnte nicht ver-
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