Full text: Von Potsdam nach Doorn.

glorreiche Entwicklung unseres Landes beruht, unter den Willen eines 
deutschen Reichsparlaments beugen: Preußen müßte aufhören, Preußen zu 
sein.“ Hier spricht schon der Sieger! 
Die Geschichte jener Jahre zu schildern, ist nicht die Aufgabe dieser 
Schrift, die Gegenüberstellung des Nationalvereins aber, seiner Führer und 
seiner Politik und auf der anderen Seite Bismarcks mit der seinigen — ist 
nicht allein von hohem Reiz, sondern auch sehr lehrreich, politisch, geschicht- 
lich und für das deutsche Wesen jener Zeit. Bismarck bekämpfte und be- 
siegte den preußischen Liberalismus und die preußische Demokratie in den 
Konfliktjahren. Dieser Kampf war aber nicht der eines Konservativen, es 
war auch nicht der Kampf eines fanatisch begeisterten Royalisten, sondern 
der eines Mannes, der kraftvoll zentralisierte deutsche Einheit wollte. 
Dieser Mann wußte, daß es ein Kampf der Macht war, der nur durch Blut 
und Eisen zu seinem Ziel, der deutschen Einheit, geführt werden konnte. 
Preußen allein konnte diese Macht entwickeln, also mußte Preußen der ei- 
serne Kern werden, um den sich das Reich schließen sollte. Und dazu mußte 
die preußische Känigsmacht durch Heeresmacht und eine starke Politik zur 
unbestrittenen, unbestreitbaren Vormacht in Deutschland gemacht werden. 
Nur über Königgrätz war dies möglich. 
Bismarck hatte weder Respekt vor der Demokratie und dem Liberalismus 
noch vor der konservativen Dogmatik, noch vor der Heiligkeit des mon- 
archischen Legitimismus. Er verwarf oder benutzte sie alle, je nachdem sie 
ihm auf seinem Wege zum Deutschen Reich als förderliche Mittel, als 
Hindernisse oder als Gegner erschienen. 
Der nationale Einigungsgedanke, der Reichsgedanke, zu dem sich se- 
kundär der Kaisergedanke gesellte, war liberal — im damals besten Sinne 
dieses Begriffs —, die Macht des Liberalismus aber mußte besiegt werden, 
damit das Ziel erreicht wurde, welches auch sein eigenes war, durch den 
„grundsatzlosen‘‘ Bismarck, während der Liberalismus und auch alle an- 
deren Parteien mit den erhabensten Grundsätzen vollgestopft waren. 
Trotzdem blieb eines übrig und nicht das am wenigsten Wichtige: der 
Deutsche Nationalverein war trotz alledem der freilich recht unvollkom- 
mene, und oft irregehende Ausdruck der deutschen Sehnsucht nach dem 
einigen Deutschen Reich von Anfang gewesen und blieb es auch noch einige 
Zeit, nachdem das Reich geworden war, indem Wunsch nach Verwirklichung 
auf Dauer. Bismarck brauchte die Nationalliberalen und wollte sie brauchen, 
weil sie den Reichsgedanken von vornherein in sich getragen hatten, auch 
dann, wenn sie — nach der richtigen Überzeugung des Reichsgründers — 
von den richtigen Wegen und Mitteln sich entfernt hatten und ihn später bei 
seiner großen wirtschaftspolitischen Kursänderung im Stich ließen. 
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