Stellungen an dem Einheitsgedanken gearbeitet. Dieser süddeutsche Fürst
ist, auch als er noch viel jünger war, ein Staatsmann gewesen, der über den
Dingen stand und von einem Anti-Preußentum oder irgendwelchen Ressen-
timents weit entfernt war. Als Reichskanzler aber erblickte er in der von ihm
gezeichneten Art des Preußentums eine Gefahr für das Reich.
Dazu kamen die stimmungsmäßigen Gegensätze und Abneigungen der
Bevölkerungen der Südstaaten gegen ‚das Preußische‘ und umgekehrt die
preußische Geringschätzung gegenüber dem Süden; dann vor allem eben
der Liberalismus. Süddeutsche und norddeutsche Soldaten zwar hatten zu-
sammen den Krieg geführt und gesiegt, man hatte in Berlin nicht mit An-
erkennung der süddeutschen Leistung gekargt, aber das Verschwinden der
alten Gegensätze in den Stammesverschiedenheiten und den politischen An-
schauungen konnte nur im Laufe der Zeit möglich werden und unter der
Führung einer stetigen, dabei verständnisvollen und sanften Hand.
Ein Wachsen des Partikularismus bedeutete für den Reichsgedanken:
Gefahr.
Aus den siebziger und den achtziger Jahren stammen viele Klagen, Be-
schwerden und Angriffe gegen Bismarck mit dem Leitmotiv : dieses Deutsche
Reich von 1871 sei ja gar kein Reich, sondern ein ungleichartiges, unorga-
nisches Gebilde. Lagarde, Nietzsche und viele andere haben so gedacht. Ein
weniger bekannter, aber tiefer und edler Denker, der Friese B. Bleicken,
schrieb: ‚Wer Augen hat zu sehen, sieht deutlich, wohin die Tendenz der ge-
schichtlichen Ereignisse geht. Sie geht dahin, die deutschen Staaten zu ent-
staatlichen — aus solchen, die wirklich Staaten waren, und auch aus solchen,
die es nur dem Namen nach waren —, wieder Teile des Reiches: Reichslande
zu gestalten, die das, was sie heißen, auch wirklich sind, und die als solche,
die größten wie die kleinsten, nicht nur eine formell staatsrechtliche, sondern
eine wirklich politisch-historische Bedeutung wieder erlangen können und
werden.“
Das Geschehen hat eine andere Antwort gegeben, eine Antwort, die auch
Bismarck nicht geahnt hat und nicht ahnen konnte. Andererseits wird der
Rückschauende zugestehen müssen, daß jene Dränger zu einem wirklichen
Reiche damit zwar ein Zeugnis ihres deutschen Willens zum Reiche gegeben
haben, aber nicht imstande gewesen sind, die damals tatsächlich vorhan-
dene Lage in Deutschland politisch, wirtschaftlich und nicht zum wenigsten
auch psychologisch richtig zu beurteilen. Hier galt das später von Bismarck
gebrauchte Wort: die Früchte würden nicht schneller reif, wenn man die
Lampe darunter halte.
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