Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Die erste Sorge war und mußte für den Schöpfer des Reiches sein, es uach 
außen zu festigen. Wohl lag Frankreich noch danieder, erholte sich jedoch 
mit einer kaum vermuteten Schnelligkeit. Für die Wehrkraft mußte gleich 
das Notwendige getan werden, denn Großbritannien und Rußland waren 
von wachsendem Unbehagen angesichts der plötzlichen gewaltigen Stellung 
des neuen Deutschlands in Europa erfüllt. 
Die neue Reichsverfassung mußte sofort durchgeführt werden: in der Ver- 
waltung, besonders schleunigst auch in der Vereinheitlichung des Wehr- 
wesens, des Verkehrswesens usw. usw. — Es war, wie ein Bild des ‚Klad- 
deradatsch“‘ vom Jahre 1867 die Herstellung des Norddeutschen Bundes 
darstellte: aus den Einzelstaaten werden Staaten zu Einzelheiten eines 
großen Fasses verarbeitet, Bismarck und seine Minister treiben die eisernen 
Reifen mit dem Hammer auf, die den erst lose und unfertig geformten Faß- 
körper schließen und ihm unlösbare Festigkeit geben. Die eisernen Reifen 
bestehen im gemeinsamen Wehrgesetz, im Strafgesetzbuch u. a. m. 
Bei diesem Übergang kam auf die Gutwilligkeit der Fürsten und der lei- 
tenden Behörden der Bundesstaaten sehr viel an. Wir lachen heute über die 
Kleinstaaterei und ihre Elendigkeiten, über den kleinen Souveränitätsstolz 
der Fürsten und ihrer Umgebung, über die Bevölkerungen der einzelnen 
Staaten, von denen sich jede als etwas Besonders dünkte, und über ihre 
gegenseitigen Abneigungen. Das waren alles Dinge, die Jahrhunderte hin- 
durch bestanden hatten. Der äußere Zusammenschluß zum Reich war durch 
den großen Staatsmann und seine Kriege erzielt worden, die Einzelstaaten 
mit ihren Fürsten mußten Opfer bringen und taten es. Der innere Zusam- 
menschluß aber erforderte Geduld, und deshalb mußte alles vermieden 
werden, was ihn erschweren konnte. 
Bismarck hat in dem Staatenbund, genannt Reich, freilich keineswegs 
eineideale Formgestaltung erblickt. Er hat vielmehr nach den Möglichkeiten, 
die seinem staatsmännischen Augenmaß sich boten, die erste Formung voll- 
zogen und mit aller Sorgfalt vermieden, irgendwo zu zerstören, was dem 
Reiche nicht schädlich und dabei lebenskräftig war. Die Dynastien waren 
damals noch lebenskräftig und mit ihren Bevölkerungen durchweg auch 
innerlich noch verbunden. Sie waren noch immer Faktoren der Stabilität 
auch des neuen Zustandes. Welche Faktoren gleicher Art waren sonst noch 
vorhanden ? 
Eines solchen wurde bereits gedacht: das war die immer gewaltiger wer- 
dende wirtschaftliche Entwicklung durch die neuen Verkehrsmittel: die 
Eisenbahn, die Industrie, den Telegraphen. Kurz, die gesamte Wirtschaft ver- 
langte immer gebieterischer die große deutsche Einheit. Auch die meisten 
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