Fürsten hatten nicht nur für die Kraft, sondern auch für die Gesundheit
dieses Drängens wachsendes Verständnis. Es war auch die Zeit des stürmisch
zur Herrschaft strebenden Kapitalismus. Die Führung des Kapitalismus lag
in jüdischen Händen, schon seit dem Beginn des neunzehnten Jahrhunderts.
Ein Streiflicht wirft die Tatsache, daß zu Beginn der sechziger Jahre des
vergangenen Jahrhunderts fünf Sechstel der Banken in Preußen jüdisch
waren. Da Juden und Deutsche nur nach der ‚Konfession‘ unterschieden
wurden, wird auch das letzte Sechstel zum größten Teil aus getauften Juden
bestanden haben.
Die Parteien
Ein langjähriger juristischer Berater Bismarcks seit der zweiten Hälfte
der sechziger Jahre, Justizrat von Wilmowski, spricht sich in seinen Er-
innerungen folgendermaßen aus:
„Er ist vor allem nicht Zentralist oder Unitarier. Deutschland soll nicht
in Preußen aufgehen, und Preußen soll nicht, alle anderen Staaten mediati-
sierend, die Alleinherrschaft in Deutschland führen. Preußen soll aber auch
nicht in Deutschland aufgehen und soll nicht seine Kräfte zugunsten einer
abstrakten gesamtdeutschen Individualität aufgeben.“ — Wie alles bei
Bismarck, entsprang auch diese Haltung rein realpolitischen Überlegungen.
Diese waren für seine Zeit richtig.
Im Innern von Deutschland solle der Partikularismus nicht zu Hemm-
stricken für die Entwicklung von Handel und Verkehr werden; im übrigen
könne man den einzelnen Stämmen überlassen, ob sie ihre Existenz im ein-
zelnen so oder so einrichten wollten; wenn Organe zu einer gemeinsamen
Gesetzgebung geschaffen seien, so werde das Bedürfnis von selbst die richtige
Grenze finden. Von der unnützerweise viel beredeten Frage: zu welcher
Partei Bismarck eigentlich gehört habe, sagt Wilmowsk1:
Bismarck sei niemals Systematiker und Theoretiker gewesen und habe
kein Gewicht darauf gelegt, ‚ob eine Maßregel für ein politisches System
konsequent war, sondern ob sie für den beabsichtigten Zweck taugte. Er
war überwiegend Praktiker.‘
Diese Charakteristik ist durch Bismarcks ganze Regierungszeit und durch
seine „Gedanken und Erinnerungen“ ausnahmslos bestätigt worden. Daraus
ergibt sich auch folgerichtig, daß keine der Parteien hätte sagen können, sie
sei ‚die seinige‘‘, abgesehen höchstens von der Reichspartei, die eben sagte:
Was Bismarck will und tut, ist immer das am meisten Richtige, folglich
unterstützen wir ihn! Die Parteien waren für Bismarck nur Mittel zum
Zweck, und machte er der einen oder der anderen Konzessionen, die ihm
selbst nicht genehm waren, so bildeten diese für ihn das kleinere Übel. In
124