Full text: Von Potsdam nach Doorn.

diesem Sinne hat er auch gesagt und geschrieben, es gäbe Zeiten, zu denen 
konservativ regiert werden müsse, und andere, wo liberal regiert werden 
müsse. Spätere Jahre haben Bismarck sogar gezwungen, sich, um eine parla- 
mentarische Mehrheit zu erzielen, des Zentrums zu bedienen. 
Bismarck wollte das Reich schon lange, aber nicht eher, als die realen 
Grundlagen dafür vorhanden seien. Diese schuf er selber, seitdem er preu- 
Bischer Ministerpräsident geworden war. Seine konservativen Parteigenossen 
wollten das Reich überhaupt nicht. Das ist der grundlegende Gegensatz, der 
sich, wenn schon in verschiedenen Formen, durch die Regierungszeit Bis- 
marckshindurchzieht. DerpreußischeKonservativismus wolltedas Reich 1862 
ebensowenig wie 1866 und 1870. Sein innerpolitisches Ziel nach 1849 war die 
Wiederherstellung des vorrevolutionären Preußens, also in möglichst weit- 
gehendem Grade der durch Metternich so lange aufrechterhaltene Zustand. 
Damals war Bismarck schon weit über den konseryativen Horizont hinaus- 
gewachsen, übrigens auch König Wilhelm, wie sich gleich nach seiner Thron- 
besteigung zeigte. Im Jahre 1861 schrieb Bismarck den bemerkenswerten 
Satz: „Wir Konservativen möchten eine Volksvertretung nicht mehr ent- 
behren und könnten diese geltende Institution nicht revolutionär nennen.“ 
Seiner Partei dagegen erschien eine Volksvertretung als grundsätzlich ver- 
werflich, nicht zu reden vom allgemeinen Wahlrecht, über welches das kon- 
servative Preußen in äußerster Empörung war. 
Während der entscheidenden Spannung 1865/66 mit Österreich zeigten 
die Konservativen völliges Unverständnis und heftigsten Widerwillen gegen 
Bismarcks Politik ; gegenihn und an den König wendeten sich hervorragende 
konservative Mitglieder mit größter Heftigkeit. In ihrem Herzen lebte noch 
immer das Ideal eines Zusammenregierens von Hohenzollern und Habsburg 
und zugleich der alte Respekt gegenüber der kaiserlichen Würde des Habs- 
burger Hauses, wie bei Friedrich Wilhelm IV. — Dem preußischen Konserva- 
tivismus war eine Außenpolitik Preußens ohne Anlehnung an Österreich oder 
gar im Gegensatz zum Hause Habsburg eine Unmöglichkeit. 
So konnte dieKonservativePartei Preußens dem Kanzler freiwillige Hilfe 
für den Auf- und Ausbau des Deutschen Reiches nicht bedeuten. Sie machte 
mit, weil sie mußte. Ihr taktisch-politisches Verständnis, dazu ihr echter 
preußischer Patriotismus machten den Konservativen schließlich selbst- 
verständlich, Bismarck da zu stützen, worauf es diesem ankam, auf: Ver- 
teidigung der monarchischen Autorität, im Reich wie in Preußen. Der 
grundsätzliche Gegensatz jedoch blieb, und weder die eine Seite noch die 
andere ist ohne Haß und Bitterkeit geblieben. Der deutsche Einheitsgedanke 
und der ‚Glanz der Kaiserkrone‘“‘ — diein Friedrich Wilhelm IV. romantisch 
lebendig waren und im Sohne Wilhelms des Ersten, dem späteren Kaiser 
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