Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Friedrich Ill. — waren dem preußischen Konservativismus widerwärtige 
Gedanken. Sie erschienen ihm auch als Gefahr für den preußischen Staat und 
die Welt des Preußentums. Bismarck wolle Preußen zugrunde richten, den 
preußischen Geist liberal verwässern, waren keine der geringsten Vorwürfe, 
die man dem Schöpfer des Reiches machte. 
In einem vorigen Abschnitt wurde gezeigt, wie die nationaldeutsche Be- 
wegung weit weniger im Zeichen der Sehnsucht nach Wiederherstellung des 
Kaisertums ging, als auf Einung und Einheit, die außerdem auch auf wirt- 
schaftlicher Entwicklung und Notwendigkeit beruhten. Diese hatte freilich 
keineswegs die rein idealistische Glut für deutsche Einheit verdrängt. Sie 
war und blieb echt, wie sie seit den Anfängen des Jahrhunderts gewesen war, 
aber sie war eine Einheitsbegeisterung, eine Reichsbegeisterung, aber keine 
Kaiserbegeisterung. Ebensowenig lebte eine solche Begeisterung inBismarck. 
Sein Hauptargument gegen den Widerstand König Wilhelms des Ersten 
war: Bundespräsidium habe nicht die Schwungkraft wie der Kaisertitel, 
und: die Könige unter den deutschen Fürsten könnten sich nur dem Kaiser 
unterordnen, nicht dem König von Preußen. Jene Schwungkraft galt in 
noch weit höherem Grade im Volk der in drei siegreichen Kriegen machtvoll 
zum Ausdruck gebrachten deutschen Einheit, auch der ehrwürdigen 
Persönlichkeit des ersten Deutschen Kaisers; sie galt aber nicht dem deut- 
schen Kaiserthrone an sich. Die Konservativen aber mußten sich ver- 
anlaßt sehen, zum Deutschen Kaiser zu halten, weil dieser ihr König von 
Preußen war. 
Vergleicht man die Forderungen der Nationalversammlung von 1846/49 
mit Bismarcks Reichsverfassung, so ergibt sich, besonders auf wirtschaft- 
lichem Gebiet, eine starke Ähnlichkeit zwischen beiden: dem ersehnten 
Reich sollten gehören die Verkehrsmittel, von der Eisenbahn bis zur Fluß- 
schiffahrt, ferner die Zollpolitik, Produktions- und Verbrauchssteuern, 
Münzwesen, Bankwesen, Festlegung einheitlichen Handelsrechtes und 
Wechselrechtes, die Reichsgerichtsbarkeit und bürgerliche Gesetzgebung, 
die höchst wichtige und tief einschneidende Freizügigkeit und so weiter. 
Genau wie in der Bismarckschen Verfassung sollte in die Hände des 
Reiches die Entscheidung über Krieg und Frieden und das gesamte Wehr- 
wesen zu Lande und zu Wasser gelegt werden, ferner die auswärtige Politik, 
einschließlich des diplomatischen Verkehrs. In allen diesen entscheidend 
wichtigen Punkten und Angelegenheiten stand also die Reichsverfassung 
von 1870/71 auf dem Boden jener liberalen Forderungen, die ihrerseits 
wieder im Zeichen der Entwicklung des Verkehrs (nicht zum wenigsten auch 
des Geldverkehrs) sich befanden. In den zwanzig Jahren zwischen 1848/49 
und 1868/69, der Gestaltung des Norddeutschen Bundes als unmittelbarem 
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