Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Zollpolitik unterstützte und sie dadurch ermöglichte. Eine unwürdige Lage 
im Grunde genommen: sich des Reichsfeindes bedienen zu müssen und da- 
mit dessen Macht und Prestige zu erhöhen! Aber es handelte sich um eine 
grundlegende und für die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands entschei- 
dende, notwendige wirtschaftspolitische Schwenkung. Der Nationallibera- 
lismus weigerte sich wegen seines Freihandelsprinzips, sie mitzumachen. So 
war der Kanzler gezwungen, die ihm nötige Mehrheit zu nehmen, wo er 
sie fand. 
Die Leiter der Zentrumspartei vereinigten in Geschicklichkeit und Aus- 
dauer mit ihren ultramontanen Zielen diejenigen der Partikularisten in 
Deutschland und aller Gegner Preußens. Der langjährige Führer des Zen- 
trums, Dr. Windthorst, ein äußerst befähigter Politiker, war Hannoveraner. 
So ergab es sich ohne weiteres, daß die Angehörigen der hannoverschen Wel- 
fenpartei, auch wenn sie nicht katholisch waren, sich dem Zentrum an- 
schlossen, ebenso wie die katholischen und deutschfeindlichen polnischen 
Abgeordneten des deutschen Ostens, ebenso die elsaß-lothringischen Ab- 
geordneten und die dänisch gesinnten des damaligen Nordschleswig. 
Seinen „Kulturkampf‘“ gegen den ultramontanen Reichsfeind hat Bis- 
marck nicht zum Siege zu führen vermocht, wenn er auch nicht vergeblich 
gewesen ist. Man hat den Schöpfer des Reichs wegen seines Unternehmens 
später hart getadelt. Noch heute begegnet man oft einem überlegenen 
Achselzucken:: wie konnte Bismarck nur diesen groben Fehler begehen! 
Vielleicht wäre die Frage dagegenzuhalten: Konnte — und wie konnte 
Bismarck den Kulturkampf vermeiden ? Es muß dahinstehen, ob der Kampf 
durch seinen hochbefähigten Minister Falk taktisch nicht zweckmäßig ge- 
führt worden sei, ob Bismarck falsche politische Berechnungen angestellt 
habe, ob der geistig und charakterlich große Führer derer, die dem Papst 
gegenüber festblieben, Döllinger — der die Altkatholische Kirche gründete— 
recht hatte, als er in einem von Hohenlohe berichteten Gespräch sagte: ‚Er 
sprach vom Kirchenkonflikt und verglich die preußische Regierung mit 
einem Manne, der in einen Fluß geht, ohne dessen Tiefe zu kennen, und bei 
jedem Schritt auf unerwartete Untiefen trifft.‘“ Wenn nur, meinte Döllinger, 
das Wasser den Unkundigen nicht mit fortreißt! Er bedauert, daß man es 
nicht verstanden habe, die Bischöfe teilweise für sich zu gewinnen. — Das 
würde anfangs möglich gewesen sein, jetzt sei es zu spät. Wolle man aber ein- 
mal Frieden machen, so möge man nicht mit Rom verhandeln — denn dort 
sei die Unkenntnis zu groß —, sondern mit den deutschen Bischöfen!“ — 
Das sind jedoch Einzelheiten, in die wir uns nicht verlieren wollen. Sein 
Ziel hat Bismarck nicht erreicht, weil er von den Parteien im Stich gelassen 
wurde, auf der Rechten von den Konservativen, auf der Linken von der 
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