Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Kampfes genommen haben. Solange das Reich bestand, waren sie dessen 
Feinde. 
Das Ergebnis des Kulturkampfes ist jedenfalls insofern unschätzbar ge- 
worden, als der Ultramontanismus oder, wie wir heute sagen, der politische 
Katholizismus infolge des Kampfes sein Wesen und seine Karten auf- 
zudecken gezwungen wurde. 
Die, wie Bismarck sagte, ‚ungeheuerlichste Erscheinung auf politischem 
Gebiet, daß sich eine konfessionelle Fraktion in einer politischen Versamm- 
lung bildet‘, war eben da. Sie war mit dem Reich geboren, als unmittelbare 
Reaktion auf die deutsche Reichsschöpfung, im Zeichen des Kampfes gegen 
diese, bis aufs letzte. Dieser Kampf würde geführt werden in jeder zweck- 
mäßigen Form, bis das Reich einmal als katholisiert anzusehen oder ver- 
nichtet sein würde. Sonst würde, konnte der Kampf gegen das Reich nicht 
aufhören, niemals und unter keinen Umständen, solange die Kraft der 
Kirche und des Jesuitenordens ausreichte. Wäre es besser gewesen, daß der 
politische Katholizismus unaufgedeckt weiterging, anstatt daß der Feind 
des Reiches gezwungen wurde, sich zu zeigen, wie er war? Damals freilich 
hat man hierüber beinahe allgemein anders gedacht und auch später unter 
Kaiser Wilhelm II. immer wieder für möglich gehalten, daß eine aufrichtige 
Versöhnung im deutschen Zeichen möglich sei. Den Ton, in dem die Bi- 
schöfe während des Kulturkampfes redeten, charakterisiert das Wort des 
Bischofs von Ketteler Anfang der siebziger Jahre im Reichstage, als die Re- 
gierung ihre Gesetzentwürfe vorgelegt hatte: ‚Machen Sie keine Gesetze, 
die Rebellen sind gegen Gottes Gesetze; dann werden wir Bischöfe nicht 
gegen die Landesgesetze rebellieren.‘‘ — Der Papst Pius IX. aber schrieb an 
König Wilhelm, dieser möge diese Gesetze nicht zulassen, denn sie sollten 
den Katholizismus zerstören, und jeder, der die Taufe empfangen habe, 
„gehört in irgendeiner Weise dem Papst an‘. —- Ein Angehöriger des Zen- 
trums und Mitglied des Reichstages sagte: ‚Wenn Bismarck gehangen 
würde, so würde ich am Stricke ziehen helfen.“ 
Wohl die gesamte katholische Bevölkerung Deutschlands sah in Bis- 
marck den teuflischen Verfolger der Religion. In evangelischen Kreisen 
dachte man ähnlich. Die demokratische Fortschrittspartei, die alte gehässige 
Todfeindin von dem preußischen Konflikt der sechziger Jahre her, erblickte 
in dem Kulturkampf den Charakter eines „großen Kulturkampfes der 
Menschheit‘ und fand es deshalb notwendig, in diesem Punkte die’ Regie- 
rung zu stützen. Diese parlamentarische Parteinahme für den deutschen 
Kanzler war auf der anderen Seite geeignet, ein falsches Bild zu geben. Die 
rationalistische, atheistische demokratische Richtung ging von der ‚Mensch- 
heit‘ aus, während es sich für Bismarck darum handelte, das aus dem natio- 
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