Full text: Von Potsdam nach Doorn.

länger als die, die wir eben hörten, auch nur eine einzige Erinnerung, wo auch 
der leiseste Schatten eines positiven Gedankens, eines Vorschlages über das, 
was künftig werden soll, über die Gestaltung, über das Programm, dasdiesen 
Herren vorschwebt, nachdem sie das Bestehende in Bresche gelegt haben ... 
ist Ihnen etwas Derartiges erinnerlich ? Ich wäre dankbar, darauf aufmerk- 
sam gemacht zu werden. Ich kenne nichts derart und glaube auch den Grund 
zu wissen, warum die Herren darüber, wie sie die Welt künftig gestalten 
wollen, wenn sıe die Herren wären, sorgfältigschweigen :siewissenesnicht, 
sie wissen in dieser Beziehung nichts, sie haben auch den Stein der Weisen 
nicht. Sie können die Versprechungen niemals halten, mit denen 
sie jetzt die Leute verführen. Das ist eben das Geheimnis, weshalb 
darüber ein tiefes Stillschweigen beobachtet wird. Daß die Herren nun mit 
den dunklen Versprechungen, denen sie nie eine ausgeprägte Form gegeben 
haben, Anklang gefunden haben, das ist ja bei dem, der überhaupt nicht 
mit seiner Lage zufrieden ist, namentlich, wenn er seiner Unzufriedenheit 
mit der germanischen Energie empfindet und geltend macht, nicht so 
außerordentlich schwer. Wenn sie den Leuten, die zwar lesen können, 
aber das Gelesene nicht beurteilen — wenn sie den Leuten glänzende 
Versprechungen machen, dabei in Bild und Wort, mit Hohn und 
Spott alles, was ihnen bisher heilig gewesen ist, als einen Zopf, eine 
Lüge darstellen, alles das, was unsere Väter und uns unterdem Motto: 
‚Mit Gott, für König und Vaterland!‘ begeistert und geführt hat — 
als eine hohle Redensart, als einen Schwindel hinstellen, ihnen den 
Glauben an Gott, den Glauben an unser Königtum, die Anhänglichkeit an 
das Vaterland, den Glauben an die Familienverhältnisse, an den Besitz und 
die Vererbung dessen, was sie für ihre Kinder erwerben wenn sie ihnen 
alles das nehmen, so ist es doch nicht allzu schwer, einen Menschen von ge- 
ringem Bildungsgrad dahin zu führen, daß er schließlich mit Faust spricht: 
‚Fluch sei der Hoffnung, Fluch dem Glauben, und Fluch vor allem der Ge- 
duld!‘ Ein so geistig verarmter und nackt ausgezogener Mensch was 
bleibt denn dem übrig als eine wilde Jagd nach sinnlichen Genüssen, die 
allein ihn noch mit diesem Leben versöhnen können ? 
Wenn ich zu dem Unglauben gekommen wäre, der diesen Leuten bei- 
gebracht ist ... ja, meine Herren, ich lebe in einer reichen Tätigkeit, in einer 
wohlhabenden Situation, aber das alles könnte mich doch nicht zu dem 
Wunsche veranlassen, einen Tag länger zu leben, wenn ich das nicht hätte, 
was der Dichter nennt: ‚An Gott und bessere Zukunft glauben.“ Rauben Sie 
das dem Armen, dem Sie gar keine Entschädigung gewähren können, so be- 
reiten Sie ihn eben zu dem Lebensüberdruß vor, der sich in Taten äußert 
wie die. welche wir erlebt haben.“ 
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