Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Reich auf dem Wege zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit vom Ausland in 
hohem Grade gefördert, den deutschen Export über alle Erdteile hin kon- 
kurrenzfähig gemacht hat, die Reichseinnahmen in gleichem Maße gesteigert 
und die Reichswirtschaft von der der einzelnen Bundesstaaten unabhängiger 
gemacht und zur Steigerung des deutschen Ansehens in der ganzen Welt mit 
entscheidend beigetragen haben, einen hervorragenden Platz ein und hat 
diesen stets gehalten. 
Allen diesen hohen Verdiensten gegenüber stand Fehlen an Verständnis 
für die soziale Frage, deren Lösung auf der einen und deren Gefahren auf der 
anderen Seite. Die Führer der Industrie zeigten hier einen schweren Mangel 
an Weitblick, sozial verstanden und ebenfalls politisch gesehen. Mit privater 
patriarchalischer Fürsorge auf der einen, mit ebenso patriarchalischer, ty- 
rannischer Strenge und Rücksichtslosigkeit konnte nichts gewonnen, aber 
viel verdorben werden. Das letztere geschah. Eine andere Haltung der In- 
dustrie hätte der hetzenden Propaganda des Marxismus nicht annähernd so 
großen Erfolg bringen können. 
Außerdem freilich ging es nicht allein um Fragen des Lohns und der Ar- 
beitszeit, sondern um die, sagen wir gesellschaftliche Anerkennung und 
menschliche Wertung des Handarbeiters, des Arbeitnehmers überhaupt als 
Volksgenossen. Hiervon waren alle höheren Schichten weit entfernt, aber 
am schroffsten zum Ausdruck kam die Minderachtung dem Besitzlosen, dem 
Lohnarbeiter gegenüber im Großbetriebe. Man kann hier wieder sagen: so 
waren eben jene Zeiten! Gewiß, aber die Tatsache besteht, und sie hat in der 
weiteren Entwicklung der Verhältnisse einen großen und verderblichen Ein- 
fluß geübt. Erst der nationalsozialistische Staat hat den großen Umschwung 
herbeigeführt. 
So bahnbrechend und groß die Erkenntnisse und Leistungen Bismarcks 
auf sozialem Gebiet gewesen sind, so kann doch nicht verkannt werden, daß 
seine wirtschaftspolitische Anschauung in der kapitalistischen Atmosphäre 
seiner Zeit stand. Das machte sich besonders sichtbar in seiner Stellung zu 
den großen industriellen Arbeitgebern. Ihnen billigte er ihren Standpunkt 
des ‚Herr im eigenen Hause sein‘ innerhalb der Grenzen des Staatsinter- 
esses als selbstverständlich zu. Sie waren ihm auch die höhere Schicht oder 
Klasse. Sein Bestreben, auch die soziale Stellung der Handarbeiterschaft 
allmählich zu heben, wurde damit nicht beeinträchtigt. Praktisch durchaus 
im Vordergrund stand ihm seit der Reichsgründung: Deutschland industriell 
vom Ausland unabhängig zu machen und dem Reich Einnahmen zu schaffen. 
Das war ihm so dringlich, daß er auch Klagen über die lange Arbeitszeit un- 
berücksichtigt ließ, um die Industrie dem Ausland gegenüber so rasch wie 
möglich konkurrenzfähig zu machen. 
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