Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Man muß sich vor Augen halten, daß die europäische Atmosphäre von 
kapitalistischen Gedanken und der kapitalistischen Lebenspraxis erfüllt 
war. Erwähnt wurde auch, wie die ersten fünfzehn Jahre des neuen Reiches 
im Zeichen der Kapitalfrage, richtiger: der Kapitalnot standen. Der Kapital- 
bedarf des jungen Reiches war groß, nicht minder Kraft und Lust zu Unter- 
nehmung und Leistung. Das Haus Rothschild beherrschte bereits seit Be- 
ginn des Jahrhunderts Europa. Wer in großem Maßstabe Kapital brauchte, 
kam nicht um direkte oder indirekte Verbindung mit Rothschild herum. 
Große nichtjüdische Kapitalisten waren damals in Deutschland und vollends 
in Preußen kaum vorhanden. 
Wie Anfang der siebziger Jahre in der Reichshauptstadt jüdischer Geist 
herrschte, dafür gibt es ein Beispiel von beschämender Drastik: 
Als mitten in dem Triumph des siegreichen Krieges und der Neuschöpfung 
des Reiches beträchtliche Truppenteile nach Deutschland, insbesondere nach 
Berlin zurückkehrten, ergab sich, daß elftausend Menschen kein Obdach in 
der Kaiserstadt fanden, tatsächlich auf der Straße lagen. Unruhen waren die 
Folge, denn die Obdachlosen, zum größten Teil zurückgekehrte Krieger, 
wurden, ohne daß man ihnen anderweitig Hilfe gab, aus selbstgebauten Ba- 
racken und alten Spreekähnen durch Polizei und Feuerwehr herausgeworfen. 
Im Sommer 1872 kam es ebenfalls aus Wohnungsnot, hauptsächlich auch 
durch die brutale Rücksichtslosigkeit, mit der die jüdisch durchsetzte und 
beeinflußte Berliner Stadtverwaltung gegen die heimgekehrten Soldaten 
vorging, sogar zu Barrikadenkämpfen. Da begab sich im Berliner Stadt- 
‚parlament der folgende charakteristische Vorgang: 
Der Berliner Oberbürgermeister legte den Plan vor: Auf dem Gelände der 
Stadt Grundstücke billig zu verpachten, um wenigstens etwas zur Milderung 
der Wohnungsnot zu tun, „guten Willen zu zeigen‘. Die Stadtverordneten 
aber lehnten den Vorschlag ab, denn durch die Verwirklichung des Planes 
des Oberbürgermeisters würden die Gewinne der Berliner Haus- und Grund- 
eigentümer, von denen diese als Wirkung der Reichsgründung mit Recht 
eine ungeheure Steigerung erwarteten, ein wenig geschmälert werden. 
Friedrich Engels, der bekannte nichtjüdische Freund von Marx, schrieb 
damals über diese Vorgänge: Wenn also die einzelnen Kapitalisten die 
schweren Folgen der Wohnungsnot nicht einmal vertuschten und trotzdem 
nicht das geringste dagegen täten, so sei vom Staate, „dem Gesamtkapita- 
listen‘“‘, auch nicht das geringste zu erwarten. Der Fall war also ein glän- 
zender Propagandastoff für den Marxismus. 
Der Jude Singer, ein langjähriger Führer der Sozialdemokratie, zugleich 
schwerreicher Besitzer einer Mäntelnäherei — dessen Kompagnon den weib- 
149
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.