Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Bismarck schreibt: ‚Der gordische Knoten deutscher Zustände ließ sich 
nicht in Liebe dualistisch (durch Preußen und Österreich im Verein) lösen, 
sondern nur militärisch zerhauen.‘“ Dieser Weg mußte nach Königgrätz 
führen und über Königgrätz nach Sedan und Versailles. 
Zur Charakteristik der Dynastien sagt in demselben Kapitel Bismarck: 
„Die Dynastien bildeten überall den Punkt, um den der deutsche Trieb nach 
Sonderung seiner Kristalle ansetzte.‘‘ Im Kriege 1866 hätten die Dynastien 
vers:huldet, ‚daß sächsisches, hannöversches und hessisches Blut nicht für 
die deutsche Einheit, sondern dagegen vergossen worden ist“. 
Das sind harte Vorwürfe, sie genügen zur Beurteilung, daß Bismarck am 
allerwenigsten sich irgendwelche Illusionen über die Stellung der deutschen 
Fürsten zur Reichseinheit und zu einer ‚deutschen Politik‘‘ machte. 
Was er hierzu in demselben Kapitel schrieb, setzen wir hier bereits her, 
einmal, weil dieser Gedanke wichtig für seine damalige Handlungsweise ist, 
ferner, weil sich die Entwicklung nach 1871 in einer anderen Richtung, als 
Bismarck meinte, vollzogen hat. Der November 1918 schließlich zeigte, daß 
die Dynastien bzw. ihre damaligen Träger und ihre Völker sich nur noch 
wenig zu sagen hatten. Bismarck schrieb: 
„Deutscher Patriotismus bedarf in der Regel, um tätig und wirksam zu 
werden, der Vermittlung dynastischer Anhänglichkeit; unabhängig von 
letzterer kommt er praktisch nur in seltenen Fällen zur Hebung, wenn auch 
theoretisch täglich in Parlamanten, Zeitungen und Versammlungen; in der 
Praxis bedarf der Dautsche einer Dynastie, der er anhängt, oder einer Rei- 
zung, die in ihm den Zorn weckt, der zu Taten treibt ... als Preuße, Han- 
noveraner, Württemberger, Bayer, Hesse ist er früher bareit, seinen Patrio- 
tismus zu dokum®ntieren, wie als Dautscher; und in den unteren Klassen und 
Parlamentsfraktionen wird es noch lange dauern, ehe das anders wird.‘ Die 
hannoversche und hessische Dynastie hätten sich nicht besonders bemüht um 
das Wohl ihrer Untertanen, ‚aber dennoch wird der deutsche Patriotismus 
der letzteren wesentlich bedingt durch die Anhänglichkeit an dıe Dynastie, 
nach welcher sie sich nennen ...: ‚Die deutsche Vaterlandsliebe bedarf eines 
Fürsten, auf den sich ihre Anhänglichkeit konzentriert. Wenn man den Zu- 
stand fingiert, daß sämtliche deutschen Dynastien plötzlich beseitist wären, 
so wäre nicht wahrscheinlich, daß das deutsche Nationalgefühl alle Deut- 
schen in den Friktionen europäischer Politik völkerrechtlich zusammen- 
halten würde, auch nicht in der Form föderierter Hansestädte und Reichs- 
dörfer. Die deutsche würde festzr geschmiedeten Nationen zur Beute fallen, 
wenn ihnen das Bindemittel verlorenginge, welches in dem gemeinsamen 
Standesgefühl der Fürsten liegt.‘ “ 
9 Reventlow: Von Potsdam nach Doorn 17
	        
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