Reiches. Großes und Hohes war geschehen und erreicht worden durch Blut
und Eisen, durch zehn Jahre innerer Kämpfe für den Reichsgedanken,
durch Blut und Opfer und die geniale Führung von Männern, die mit Wahr-
heit von sich sagen konnten, daß sie sich im Dienste des Vaterlandes ver-
zehrten. Das Reich war nun da, ‚unserer Väter Sehnsucht und unser Stolz‘‘,
„der Glanz der Kaiserkrone‘ strahlte wieder, und im selben Augenblick be-
gann im ganzen Reiche ein Tanz um das goldene Kalb in einem Umfange und
mit einer Schamlosigkeit wie noch nie. Eine große deutsche Schande war es
— so muß man jene Zeit auch heute beurteilen, und es wäre durchaus un-
richtig, hier die Juden allein verantwortlich zu machen. Das Börsenspeku-
lantentum und die Spekulierpest, die rasende Sucht, mühelos reich zu
werden, durchdrangen beinahe alle Volksschichten, vom sogenannten Hoch-
adel bis zum Bauern und zum Kleinbürger. Vom Juden war nichts anderes
zu erwarten, und gewiß war er auch der Vortänzer um das goldene Kalb,
Aber niemand hätte, zum Beispiel, in den sechziger Jahren für möglich ge-
halten, daß die deutschen Oberschichten auf den jüdischen Appell an die
niedrigen Instinkte mit so hemmungsloser Begeisterung antworten würden.
Der Jude Strousberg — einer der größten Schwindler und Betrüger, der
viele tausende Deutsche, die sich in seine ‚Gründungen‘ verstricken ließen,
zugrunde richtete, wie er auch sich selbst schließlich zugrunde richtete —
wurde auch in den höchsten Gesellschaftskreisen zugelassen und als werte-
schaffendes Genie bewundert. Hervorragende konservative Reichstags-
abgeordnete äußerten zum Beispiel: um während der Parlamentsverhand-
lungen und sonst für politische Tätigkeit in Berlin weilen und ein Haus
machen zu können, müßten sie an der Börse spekulieren und „gründen.
Friedrich Naumann rühmte in seiner Schrift ‚Demokratie und Kaisertum““,
daß Bismarck mit den Milliarden der französischen Kriegsentschädigung der
Industrie einen glänzenden Betriebsfonds eingebracht habe. Es hätte so
werden können, aber was wurde ?
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Im Jahre 1875 erschienen in dem Zeitungsorgan der Konservativen Partei
aus der Feder eines früheren Artillerieoffiziers und Abgeordneten des Deut-
schen Reichstages, Hauptmann Perrot, fünf Aufsätze, die unter der Be-
zeichnung ‚Ära-Artikel‘‘ großes Aufsehen in Deutschland machten.
Es heißt da ironisch: die Ehre der intellekten Urheberschaft der neuen
Bank- und Aktiengesetzgebung. ‚Diese Ehre wird doch wohl in letzter In-
stanz von dem großen finanziell-nationalwirtschaftlichen Spiritus familiaris
des Neudeutschen Reiches — dem Herrn von Bleichröder — in Anspruch
genommen werden müssen. ... Herr G. von Bleichröder ist nämlich, wie wir
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