Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Staatsbürgers. Nur sich einzugewöhnen war ihm noch nötig, und das mußten 
ihm alle jetzt recht leicht machen. 
An ähnlichen Grundsätzen hielten auch viele von denjenigen fest, denen 
die nach 1870 grenzenlos wachsende Frechheit der Juden ebensoviel Ab- 
scheu wie Besorgnis für die Zukunft einflößte. 
In seinen Reden gegen das Verhalten der Juden im Reichstag und in 
seiner Schrift ‚Unser Judentum‘ schrieb Treitschke: Er denke nicht daran, 
den Juden ihre staatsbürgerliche Freiheit zu verkümmern. Die Hauptgefahr 
erblickte er in dem jüdischen Zuzuge nach Deutschland aus dem europäischen 
Osten; dieser war sehr stark, denn die Ostjuden erkannten im neuen Deut- 
schen Reich reiche und vielfältige Gelegenheit zur Betätigung sehr gewinn- 
bringenden Schmarotzertums. Wenn es mit diesem Zuzug so weiterginge, 
meinte Treitschke, so würde die Frage immer ernster werden, ob eine Ver- 
mischung des jüdischen Volkstums mit dem deutschen Volkstum noch 
möglich sei. — Auch Treitschke also sah in jüdisch-deutscher Vermischung 
und in einem allmählichen, aber vollkommenen Aufgehen des jüdischen 
Volkstums die endgültige, wünschenswerte, ja notwendige Lösung der 
Judenfrage für Deutschland. So dachte man, abgesehen von wenigen ein- 
zelnen, in Deutschland noch geraume Zeit später, zum Beispiel im ersten 
Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts der verdiente Vorsitzende des All- 
deutschen Verbandes, Professor Hasse, allerdings, ebenso wie Treitschke, 
unter der Voraussetzung einer hermetischen Abschnürung unserer Grenzen 
gegen allen jüdischen Zuzug. Dann, so meinte man, werde es möglich sein, 
allmählich den Juden zu verdauen. 
Man sah keinen anderen Ausweg, glaubte auch, in möglichst zahlreichen 
Taufen von Juden ein Zeichen guten Willens zur ‚„Assimilation‘ zu er- 
blicken, während andere wieder diejenigen Juden sympathischer, bisweilen 
mit Bewunderung betrachteten, die ‚ihrem Glauben treu blieben“ 
Für die Stimmung und Stellungsnahme der deutschen Bevölkerung den 
Juden gegenüber ist charakteristisch, daß bis nach dem Weltkriege es keine 
Partei, abgesehen von den kleinen und einflußlosen antisemitischen Gruppen, 
in Deutschland gab, die nicht den ‚‚, Antisemitismus‘ ausirgendeinem Grunde 
oder Vorwande verabscheut hätte, eine Erscheinung, die auch zeigte, wie 
weit und stark jüdischer Einfluß und jüdisches Wesen schon während des 
ersten Menschenalters nach dem siebziger Kriege das deutsche Volk durch- 
drang. Warum es den Antisemiten nicht gelang, zu Einfluß und Macht zu 
gelangen, ist in dem Buch des Verfassers „Judas Kampf und Niederlage‘ 
ausführlich behandelt worden. Ein anderes wichtiges Moment kann auch in 
dieser summarischen Darstellung nicht unerwähnt bleiben: die zahlreichen 
persönlichen Verbindungen, Beziehungen, auch Freundschaften zwischen 
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