hat. Daraus mache ich niemandem einen Vorwurf. Sie konnten damals nicht
wissen, wo meiner Ansicht nach die Politik schließlich hinausgehen sollte;
ich hatte auch keine Sicherheit, daß sie faktisch dahin hinausgehen würde,
und sie hatten auch das Recht, wenn ich es ihnen hätte sagen können, mir
immer noch zu antworten: Uns steht das Verfassungsrecht unseres Landes
höher als die auswärtige Politik.“
Hätte Bismarck seinem König vor 1870 gesagt: er werde sıch auch nicht
scheuen, mit dem Liberalismus Politik zu machen, hätte er ihm vor 1864 ge-
sagt, er werde unter Umständen für den Gedanken der Reichseinheit das
allgemeine, gleiche und direkte Wahlrecht einführen, so würde er äußersten
Widerstand gefunden haben. Wie er diesen seinen folgenschweren Entschluß
gerechtfertigt hat, erklärt er in seinen „Gedanken und Erinnerungen“
folgendermaßen:
Die Notwendigkeit habe bestanden, im Kampfe gegen eine Übermacht des
Auslands auch zu revolutionären Mitteln zu greifen. Und deshalb — schreibt
Bismarck — „hatte ich auch keine Bedenken getragen, die damals stärkste
der freiheitlichen Künste, das allgemeine Wahlrecht, schon durch die Zir-
kulardepesche vom 10. Juni 1866 in die Pfanne zu werfen, um das mon-
archische Ausland abzuschrecken von Versuchen, die Finger in unsere
nationale Omelette zu stecken‘.
Dieser revolutionäre Schritt erregte in Europa höchstes Erstaunen, in
Deutschland vollends aufgebrachte Verblüfftheit, höhnisches, tiefes MißB-
trauen und Entrüstung:: man glaubte sich verspottet. Die liberale Richtung
begriff nicht, wie der konservative preußische Reaktionär dazu komme und
was er damit wolle; sie selbst mit ihrer freiheitlichen Politik hatten sich
kaum ein so weitgehendes Ziel gesteckt. Was sollte das also bedeuten ? —
Die konservativen Elemente waren außer sich und jammerten über Bis-
marcks grundsatzlose Frivolität: derselbe Mann, der vier lange, schwere
Jahre hindurch gegen das Parlament die preußische Monarchie nicht allein
gerettet, sondern enorm gestärkt hatte und jeden Tag weiter stärkte, hatte
nunmehr, um sich für den Kampf gegen Österreich zu stärken, das demo-
kratischste aller Wahlrechte eingeführt!
Bismarck konnte nicht die Aufklärung geben, die er zwei Jahrzehnte
später in den „Gedanken und Erinnerungen niederlegte:
„Ich habe nie gezweifelt, daß das deutsche Volk, sobald es einsieht, daß
das bestehende Wahlrecht eine schädliche Institution sei, stark und klug
genug sein werde, sich davon freizumachen. Kann es das nicht, so ist meine
Redensart, daß es reiten könne, wenn es erst im Sattel säße, ein Irrtum ge-
wesen.
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