Full text: Von Potsdam nach Doorn.

minder leise für sich in Anspruch zu nehmen. Vollends wuchs diese Flut der 
Gerüchte von den ersten Verstimmungen zwischen Kaiser und Kanzler. 
Alle die Persönlichkeiten, Parteien und Kreise die von der ‚aufgehenden 
Sonne‘‘ Umschwünge erwarteten, die für sie günstig werden könnten, oder 
solche, die in Bismarcks Beseitigung überhaupt den schon längst nötigen 
Beginn der ‚‚neuen Zeit‘ erblickten, taten, was sie konnten, um Mißtrauen, 
Zwietracht und Bruch zwischen Kanzler und Kaiser zu fördern. 
Der Weg zum Konflikt 
Die innerpolitische Lage war schwierig um das Jahr 1889: 
1878 waren zwei Mordversuche an Kaiser Wilhelm I. verübt worden. Der 
eine, fehlgegangene, von einem sozialdemokratischen Klempnergesellen, 
namens Hödel, der zweite von einem Dr. Nobiling; dieser verwundete den 
alten Kaiser schwer am Kopf und traf sich selbst dann tödlich. Seine Beweg- 
gründe konnten nicht genau festgestellt werden, ebensowenig wie seine 
Parteizugehörigkeit. Hierauf löste Bismarck den Reichstag auf, und der neu 
gewählte Reichstag ergab eine Mehrheit für die Regierungsvorlage eines Ge- 
setzes ‚‚Wider die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie‘‘. 
Dieses Gesetz hatte zum wesentlichsten Inhalt die folgenden Punkte: 
Verbot aller Vereine, die sozialdemokratischen, sozialistischen oder kom- 
munistischen, auf Untergrabung der bestehenden Staats- oder Gesellschafts- 
ordnung gerichteten Bestrebungen dienen, Versammlungen, die dasselbe be- 
zwecken, zu untersagen, Druckschriften, die solche Bestrebungen fördern, 
zu unterdrücken. Personen, die in solchem Sinne wirken, aus solchen Orten, 
wo sie besonders. schädlich sein könnten, auszuweisen; außerordentliche 
Maßregeln zu treffen, wo die öffentliche Sicherheit besonders gefährdet sei; 
sozialistische Druckereien zu schließen; das Vermögen aufgelöster Vereine 
für den Staat einzuziehen. 
Mit einigen unwesentlichen Abschwächungen ging das Gesetz durch. Der 
mit ihm von Bismarck beabsichtigte Zweck freilich wurde erheblich da- 
durch geschädigt, daß die Dauer des Gesetzes auf die kurze Frist von zwei 
und einem halben Jahre von der Reichstagsmehrheit beschränkt wurde. 
Bismarcks Vorlage hatte keine zeitliche Beschränkung enthalten. Dem 
Kanzler war von vornherein klar gewesen, daß die sozialdemokratische bzw. 
kommunistische Bewegung dauernd bekämpft werden mußte; nur dann: 
war ein für Reich und Volk nützliches, also ebenfalls dauerndes Ergebnis zu 
erreichen. Für den nationalsozialistischen Deutschen liegt dieses Urteil ohne 
weiteres auf der Hand. Nur dann konnte auch eine auf lange Sicht syste- 
matisch arbeitende praktische Sozialpolitik des Reichs positiv wirkungsvoll 
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