Die Annahme des allgemeinen Wahlrechts war eine Waffe im Kampf
gegen Österreich und weiteres Ausland, im Kampfe für die deutsche Einheit,
zugleich eine Drohung mit letzten Mitteln im Kampfe gegen Koalitionen.
In einem Kampfe, der auf Tod und Leben geht, sieht man die Waffen, zu
denen man greift, und die Werte, die man durch ihre Benutzung zerstört,
nicht an: der einzige Ratgeber ist zunächst der Erfolg des Kampfes, die
Rettung der Unabhängigkeit nach außen; die Liquidation und Aufbesserung
der dadurch angerichteten Schäden hat nach dem Frieden stattzufinden.“
An dieser Stelle unserer Darlegungen begnügen wir uns mit der Begrün-
dung, die Bismarck für seinen damaligen revolutionären Schritt nach-
träglich gab:
Er betrachtete den Krieg mit Österreich auf der einen Seite als notwendig,
auf der anderen als ein Kämpfen auf Tod und Leben. Er wußte, daß keine
Macht in Europa außer Rußland den Aufstieg Preußens zur wirklichen un-
abhängigen Großmacht und zur Herrin in Deutschland mit Freuden, jeden-
falls zunächst, begrüßen würde. Er kannte die schon erwachende Eifersucht
Frankreichs auf Preußen und das Mißfallen Englands an seinen bisherigen
Erfolgen. Bismarck zog den Schluß: alle denkbaren und möglichen Mittel
vorzubereiten, um auch im schlimmsten Falle den Erfolg zu sichern. Zu
diesen Mitteln schien ihm ‚‚die damals stärkste der freiheitlichen Künste‘,
das allgemeine Wahlrecht, gseignet zu sein, um im geeigneten Augenblick,
wenn beispielsweise Frankreich sich in den Krieg einmischte, dort durch eine
geeignete Propaganda die Revolution hervorzurufen, die dann sicher die
Monarchie in Österreich und Ungarn und Napoleon stürzen würde. Napoleon
wußte das natürlich auch.
Es ist mithin kein Zweifel daran, daß Bismarck das allgemeine Wahlrecht
in der Hauptsache zunächst als Mittel, um den Sechsundsechziger Krieg zu
gewinnen, einführte. Er konnte öffentlich nichts davon sagen. Deswegen
stellte er Ende März 1866 einen vorher angekündigten Antrag in der Frank-
furter Bundesversammlung auf Berufung eines allgemeinen deutschen Parla-
ments auf der Grundlage des allgemeinen und gleichen Stimmrechts. Von
diesem sagte er: „Die Karte war ausgespielt, und wir haben sie als auf dem
Tisch liegende Hinterlassenschaft vorgefunden.‘‘ Das allgemeine Stimmrecht
war nämlich in der Frankfurter Nationalversammlung von 1849 gefordert
worden. Metternich war 1848 gestürzt worden, sein Geist war aber doch
noch nicht verschwunden.
Der Antrag stieß bei beinahe allen größeren Bundesstaaten auf Abneigung
und Ablehnung. Man bildete einen Ausschuß zur Untersuchung und ver-
schob die Abstimmung. Sie ist niemals erfolgt, der österreichische Krieg
überholte alles.
21