Full text: Von Potsdam nach Doorn.

An die Minister der öffentlichen Arbeiten 
und für Handel und Gewerbe. 
„Bei Meinem Regierungsantritt habe Ich Meinen Entschluß kund ge- 
geben, die fernere Entwicklung Unserer Gesetzgebung in der gleichen Rich- 
tung zu fördern, in welcher Mein in Gott ruhender Großvater Sich der Für- 
sorge für den wirthschaftlich schwächeren Theil des Volkesim Geiste christ- 
licher Sittenlebre angenommen hat. So werthvoll und erfolgreich die durch 
die Gesetzgebung und Verwaltung zur Verbesserung der Lage des Arbeiter- 
standes bisher getroffenen Maßnahmen sind, so erfüllen dieselben doch nicht 
die ganze Mir gestellte Aufgabe. Neben dem weiteren Ausbau der Arbeiter- 
Versicherungsgesetzgebung sind die bestehenden Vorschriften der Gewerbe- 
ordnung über die Verhältnisse der Fabrikarbeiter einer Prüfung zu unter- 
ziehen, um den auf diesem Gebiet laut gewordenen Klagen und Wünschen, 
soweit sie begründet sind, gerecht zu werden. Diese Prüfung hat davon aus- 
zugehen, daß es eine der Aufgaben der Staatsgewalt ist, die Zeit, die Dauer 
und die Art der Arbeit so zu regeln, daß die Erhaltung der Gesundheit, die 
Gebote der Sittlichkeit, die wirthschaftlichen Bedürfnisse der Arbeiter und 
ihr Anspruch auf gesetzliche Gleichberechtigung gewahrt bleiben. Für die 
Pflege des Friedens zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sind gesetz- 
liche Bestimmungen über die Formen in Aussicht zu nehmen, in denen die 
Arbeiter durch Vertreter, welche ihr Vertrauen besitzen, an der Regelung ge- 
meinsamer Angelegenheiten betheiligt und zur Wahrnehmung ihrer Inter- 
essen bei Verhandlung mit den Arbeitgebern und den Organen Meiner Re- 
gierung befähigt werden. Durch eine solche Einrichtung ist den Arbeitern der 
freie und friedliche Ausdruck ihrer Wünsche und Beschwerden zu ermög- 
lichen und den Staatsbehörden Gelegenheit zu geben, sich über die Verhält- 
nisse der Arbeiter fortlaufend zu unterrichten und mit den Letzteren Füh- 
lung zu behalten. Die staatlichen Bergwerke wünsche Ich bezüglich der Für- 
sorge für die Arbeiter zu Musteranstalten entwickelt zu sehen, und für den 
Privatbergbau erstrebe Ich die Herstellung eines organischen Verhältnisses 
Meiner Bergbeamten zu den Betrieben behufs einer der Stellung der Fabrik- 
inspectionen entsprechenden Aufsicht, wie sie bis zum Jahre 1865 bestanden 
hat. Zur Vorbereitung dieser Fragen will Ich, daß der Staatsrath unter 
Meinem Vorsitze und unter Zuziehung derjenigen sachkundigen Personen 
zusammentrete, welche Ich dazu berufen werde. Die Auswahl der Letzteren 
behalte Ich meiner Bestimmung vor. Unter den Schwierigkeiten, welche der 
Ordnung der Arbeiterverhältnisse in dem von Mir beabsichtigten Sinne ent- 
gegenstehen, nehmen diejenigen, welche aus der Nothwendigkeit der Scho- 
nung der heimischen Industrie in ihrem Wettbewerb mit. dem Auslande sich 
10 Beventlow: Von Potsdam nach Doorn 193
	        
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