Full text: Von Potsdam nach Doorn.

ergeben, eine hervorragende Stelle ein. Ich habe daher den Reichskanzler 
angewiesen, bei den Regierungen der Staaten, deren Industrie mit der unse- 
rigen den Weltmarkt beherrscht, den Zusammentritt einer Conferenz an- 
zuregen, um die Herbeiführung gleichmäßiger internationaler Regelung der 
Grenzen für die Anforderungen anzustreben, welche an die Thätigkeit der 
Arbeiter gestellt werden dürfen. Der Reichskanzler wird Ihnen Abschrift 
Meines an ihn gerichteten Erlasses mittheilen. 
Wilhelm I. R.“ 
Die Erlasse wurden veröffentlicht, trugen aber nicht die Gegenzeichnung 
des Kanzlers. Eine Bedeutung haben sie nicht erlangt, nicht die geringste!, 
ebensowenig wie die internationale Konferenz, die auf Betreiben des Kaisers 
gegen Bismarcks Gutachten zustande kam. Hierzu schreibt der Kaiser: 
„Daraufhin beschloß ich, einen allgemeinen Sozialkongreß einzuberufen. 
Auch dem widersetzte sich Fürst Bismarck. Die Schweiz hegte einen ähn- 
lichen Gedanken und beabsichtigte einen Kongreß nach Bern zu berufen. 
Der schweizerische Gesandte Roth erfuhr von meiner Absicht und empfahl 
die Einstellung der Einladungen nach Bern und die Annahme einer solchen 
nach Berlin. So geschah es. Dank der Loyalität des Herrn Roth konnte der 
Kongreß nach Berlin berufen werden. Das aus ihm resultierende Material ist 
zu Gesetzen verarbeitet worden und ausgenutzt worden, allerdings nur in 
Deutschland.‘ 
Richtiger bezeichnet: Ebenso wie die Erlasse politisch verpufften, so ver- 
puffte die mit großem Lärm der Welt verkündete, spärlich beschickte Inter- 
nationale Arbeiterkonferenz wirkungslos und klanglos. Bismarck hatte vor- 
her versucht, die Berufung der Konferenz überhaupt zu verhindern, und auch 
mit Äußerungen nicht hintangehalten, die Berliner Konferenz werde ein tot- 
geborenes Kind sein, man solle lieber die Schweizer Konferenz besuchen. 
Hier mischte sich der Freund des Kaisers, Graf, später Fürst, Philipp Eulen- 
burg, ein und sagte dem Schweizer Gesandten, der Kaiser werde der Schweiz 
niemals vergessen, wenn diese auf ihre Konferenz verzichte, so daß die Ber- 
liner Konferenz stattfinden könne. — Diese Einzelheiten seien nur erwähnt, 
um zu zeigen, wie gearbeitet wurde. 
Sehen wir zunächst ab von der wachsenden Zuspitzung der Spannung 
zwischen Kaiser und Kanzler, über die zusammenfassend zu sprechen sein 
wird, und beschränken wir uns auf die politische Betrachtung der sozialen 
Frage, wie der Kaiser einerseits, der Kanzler andererseits diese anzufassen 
und zu lösen gedachte. 
Der grundlegende Unterschied zwischen den beiden Persönlichkeiten 
drückte sich am kürzesten und vollständigsten aus, als der Kaiser im Staats- 
rat erklärte: ‚Die Sozialdemokratie überlassen Sie nur mir.“ 
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