genfalls mit Waffengewalt, unterdrückt werden. Fürsorge auf der einen, die
Panzerfaust auf der anderen Seite, das war die Bismarcksche Sozialpolitik.‘
Der Kernpunkt des Gegensatzes der beiden Standpunkte war in Wirk-
lichkeit ein anderer. Er läßt sich kurz ausdrücken:
In seinen großen Reden für das Sozialistengesetz — es sei auf die zitierten
Stellen hingewiesen — erkannte Bismarck in der Sozialdemokratie einen
inneren Todfeind des Reiches, ebenso wie als einen äußeren Todfeind, der
nur auf die Gelegenheit wartete und diese vorzubereiten versuchte, um den
Vernichtungskampf gegen das Reich zu führen. Diesem Gesichtspunkt
ordnete der Kanzler alles andere unter, und insofern war es ihm lediglich
eine Machtfrage. So erklärt und versteht sich auch sein immer wiederholter
Einwand dem Kaiser gegenüber: dessen Pläne und Maßnahmen würden den
Todfeind, die Sozialdemokratie, lediglich stärken und ermutigen. Schon
damals und auch später ohne Ausnahme hat die Wirklichkeit dem Fürsten
Bismarck recht, dem Kaiser unrecht gegeben.
In seiner Gegenüberstellung hebt der Kaiser hervor: er habe die Seele des
Arbeiters gewinnen wollen, Bismarck habe: „Fürsorge auf der einen, die
Panzerfaust auf der anderen Seite‘‘ anstatt dessen gehabt. Einer der Irr-
tümer des Kaisers lag in der Ansicht, er würde die Arbeiter von ihren sozial-
demokratischen Führern trennen können, und zwar durch sein persönliches
”intreten für soziale Reformen. Ein solcher Irrtum war sicher begreiflich
wegen der Jugend und Unerfahrenheit des Kaisers, und weil ihm unberufene
Ratgeber in Mengen aus den verschiedensten Motiven, zum Teil, weil sie
Bismarck loszuwerden hofften, auseinandersetzten: Mit Güte und Liebe sei
die soziale Frage leicht zu lösen, die brutale Gewalt des Kanzlers habe schon
versagt und müsse schließlich zu den schlimmsten Zuständen führen. Hinzu
kam das selbstgefällige Wunschbild des Kaisers, als Bahnbrecher und Fackel-
träger einer neuen Zeit, im Gegensatz zu der alten, mit seiner Thronbestei-
gung vergangenen, hervorzutreten. Bismarck hat im dritten Band seiner
„Gedanken und Erinnerungen“ nicht unrecht. mit der sarkastischen Kenn-
zeichnung, der Kaiser strebe ‚einen populären Absolutismus“ an.
Im übrigen ist der gute Wille des Kaisers natürlich ohne weiteres zu-
gegeben. Diese Selbstverständlichkeit zu erwähnen sollte eigentlich nicht
notwendig sein, denn guter Wille eines neuzeitlichen Herrschers war eine
Selbstverständlichkeit. Trotzdem und eben deshalb kann solcher gute Wille
eine unrichtige Politik nicht rechtfertigen; besonders in diesem Falle nicht,
wo die richtige Anschauung und die richtige Politik nicht gesucht zu werden
brauchte, sondern in Gestalt des Reichskanzlers da war. Außerdem waren
ungefähr anderthalb Jahrzehnte der Erfahrung schon vergangen, aus denen
Bismarck den Schluß gezogen hatte: hier mit der Sozialdemokratie ist der
196