Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Beich. Er sah die wachsende Gefahr für das Reich in der Sozialdemokratie 
und daß die Quelle ihrer-Macht im Staate wesentlich im geltenden Wahl- 
recht lag. Folglich sollte dieses, wenn kein anderes Mittel sich finden ließ, 
eben beseitigt werden. 
Auf Einwendungen des Kaisers, er wolle nicht gleich zu Anfang seiner 
Regierung das Blut seiner Untertanen vergießen, erwiderte Bismarck neben 
dem schon Angeführten: er selbst würde diesen Kampf auf seine Kappe 
nehmen, er fühle noch die Kraft, ihn durchzuführen. Das wollte der Kaiser 
aber nicht, auch deshalb nicht, weil, wie der Großherzog von Baden ihm 
gesagt hatte, dann ‚‚der alte Kanzler wieder im Vordergrund stehen würde“. 
Das war für Wilhelm II. ein unerträglicher Gedanke. 
Politisch hätte jener persönliche Einwand des Kaisers selbst für ihn nicht 
gelten dürfen. Freilich war.noch ein anderes Element darin enthalten, das für 
die gesamte Regierungszeit Wilhelms II. bestimmend gewesen ist, Dieses 
drückt sich aus in dem Satz Bismarcks: „Ich hielt den Kaiser für kampf- 
lustiger, als er war oder unter fremdem Einfluß blieb, und hielt für Pflicht, 
ihm mäßigend, eventuell kämpfend, zur Seite zu bleiben.‘ Es hat zum Ver- 
hängnis des Kaisers gehört, daß er immer zunächst für kampflustiger ge- 
halten wurde, als er war, zum wesentlichen Teil, weil er diesen Anschein 
selbst zu erwecken liebte. 
Man kann nun, auch rückblickend, zum Plan Bismarcks zur Beseitigung 
des Reichsfeindes: Sozialdemokratie ja oder nein sagen. Er ist bekanntlich 
nicht in Angriff genommen worden; die einzige Probe auf die Richtigkeit oder 
Unrichtigkeit einer Politik : Erfolg oder Mißerfolg, hat nicht gemacht werden 
können. Eines aber kann und muß noch über die soziale Frage gesagt werden: 
Es würde eine Verkennung der Politik Bismarcks und auch des Mannes 
Bismarck sein, anzunehmen, daß er geglaubt habe: ‚mit brutaler Gewalt 
die soziale Frage totschlagen zu können“, 
Wie sogar der Kaiser ihm in seinen zitierten Äußerungen zugestanden, war 
Bismarck alles andere denn ein Arbeiterfeind. Der Kaiser machte ihm aber 
den Vorwurf: ‚Er faßte diese ganze Angelegenheit aber rein vom staatlichen 
Zweckmäßigkeitsstandpunkt aus auf‘‘, während er, der Kaiser, ‚‚heiß ge« 
rungen“ habe, um die Seele des deutschen Arbeiters zu gewinnen. 
Bismarck, der das Reich in wachsender Gefahr sah, hielt mit Recht für 
selbstverständlich, vor allem diese Gefahr zu beseitigen. Daß er bereit und 
willens war, die Stellung des Arbeiterstandes tunlichst zu bessern, hatte er 
sogar den Sozialdemokraten gegenüber im Reichstag bindend erklärt, als er 
ihnen sagte, jeden positiven Vorschlag, den sie ihm machen würden, werde 
man wohlwollend prüfen. 
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