ihren früheren Sinn hatten, waren sie in der Sprache der Demokratie feind-
liche Gegensätze.‘
In liberalem Munde war ein solches Urteil nicht unrichtig. Tatsächlich
haben Kaiser und Arbeitervolk freilich niemals dieselbe Sprache ge-
sprochen, und nicht einmal das, sondern die Arbeiter haben von Anfang an
den Kaiser nicht verstanden, und der Kaiser hat die Arbeiter nicht ver-
standen. Und wenn sie einander verstanden gehabt hätten, so würde der
Gegensatz nicht geringer gewesen oder geworden sein. Das Wort Bismarcks:
Ideal des Kaisers sei ein ‚populärer Absolutismus“‘, trifft wieder den Kern.
Etwas anderes kommt noch zu diesem Ideal des Kaisers: das patriarcha-
lische Moment. Gerade dieses war der Handarbeiterschaft, zum mindesten
der städtischen, auf das tiefste zuwider, beim Kaiser noch mehr als bei den
großen Arbeitgebern jener Zeit, wie Krupp und Stumm und anderen. Der
„klassenbewußte‘“ Arbeiter jener Zeit wollte weder als untergeordnetes
Element im Staat behandelt werden noch als ein gütig umsorgter Un-
mündiger, noch als Objekt in irgendeiner Beziehung. Er wollte tätiges Sub-
jekt in der Gesetzgebung werden, seine Arbeiterinteressen selbst mit wahr-
nehmen können und, soweit er der marxistischen Partei folgte, den Staat
beherrschen und sich durch Umsturz in dessen Besitz bringen.
In den ersten Jahren seiner Regierung sprach der Kaiser bisweilen mit
Arbeitern, und er hätte bei seiner Gabe für Unterhaltung, den anderen Teil
für sich einzunehmen, auch gelegentlich Augenblickserfolge erzielen können.
Aber immer machte er solche zunichte, schon durch die Formen, indem er den
einzelnen Arbeiter — wie auch den einzelnen Soldaten — mit Du anredete,
Angehörige anderer Klassen, so des Bürgertums, aber mit Sie. Im Jahre 1906
schrieb der Verfasser dieser Schrift hierzu (‚Der Kaiser und die Byzan-
tiner“‘) folgendes:
„Nun bedient sich der Kaiser bei solchen Gesprächen, speziell Arbeitern
und ehemaligen Soldaten gegenüber, des ‚Du‘ als Anrede. Dadurch wird in
zahlreichen Fällen die Wirkung nicht nur aufgehoben, sondern in das Gegen-
teil verkehrt. Es züchtet entweder Byzantiner oder bringt Verbitterung her-
vor, denn einer der empfindlichsten Punkte der Leute wird berührt ... Tat-
sächlich liegt auch kein Grund vor, einen Mann, weil er der Arbeiterklasse
angehört, anders zu nennen als die Angehörigen anderer Klassen, sie anzu-
reden wie Kinder oder in früheren Zeiten Untergebene. Der Kaiser irrt, wenn
er glaubt, sich so zu den Leuten in ein näheres Verhältnis zu stellen und ihre
‚Sprache zu reden. Sie erblicken darin nur die Wahrheit dessen, was ihnen
die sozialdemokratische Presse ohne .Aufhören predigt: daß man sie als
Staatsbürger zweiter Klasse ansehe ... Bei der so stark gewachsenen Bil-
dung und dem im allgemeinen in seiner Höhe nicht richtig eingeschätzten
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