Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Gewiß wäre es dem Kaiser lieber gewesen, wenn Bismarck von seiner 
Thronbesteigung an seine politischen Einfälle ohne weiteres befolgt hätte. 
Das hat er wohl auch zunächst erwartet, auch gedacht, er werde durch eine 
fortlaufende Flut von öffentlichem Lob und Anerkennungen den Kanzler 
dazu vermögen, die kaiserliche Politik unter allen Umständen zu decken und 
sich auf das Zu-Befehl-Sagen beschränken. Dann würde er Bismarck viel- 
leicht noch eine Reihe von Jahren haben ‚‚verschnaufen‘‘ lassen. Wenige 
Monate vor seinem Regierungsantritt, auf einem von Bismarck gegebenen 
Essen, hielt der neue Kronprinz, der wußte, daß er in sehr kurzer Zeit Kaiser 
sein würde, einen Trinkspruch auf Bismarck und sagte: 
„Um mich eines militärischen Bildes zu bedienen, so sehe ich unsere 
jetzige Lage an wie ein Regiment, das zum Sturm schreitet. Der Regi- 
mentskommandeur ist gefallen, der nächste im Kommando reitet, obwohl 
schwer getroffen, noch kühn voran. Da richten sich die Blicke auf die Fahne, 
die der Träger hoch emporschwenkt. So halten Ew. Durchlaucht das Reichs- 
panier empor. Möge es, das ist Unser innigster Herzenswunsch, Ihnen noch 
lange vergönnt sein, in Gemeinschaft mit Unserem geliebten und verehrten 
Kaiser das Reichsbanner hochzuhalten. Gott segne und schütze denselben 
und Ew. Durchlaucht.‘“ 
Noch Anfang 1889 schrieb er als Kaiser: 
„Lieber Fürst! Das Jahr, welches Uns so schwere Heimsuchungen und 
unersetzliche Verluste gebracht hat, geht zu Ende. 
Mit Freude und Trost zugleich erfüllt Mich der Gedanke, daß Sie Mir treu 
zur Seite stehen und mit frischer Kraft in das Neue Jahr eintreten. Von 
ganzem Herzen erflehe Ich für Sie Glück, Segen und vor allem andauernde 
Gesundheit und hoffe zu Gott, daß es Mir noch recht (!) lange (!) vergönnt 
sein möge, mit Ihnen zusammen für die Wohlfahrt und Größe unseres 
Vaterlandes zu wirken.“ 
Es ist nicht möglich, solche Äußerungen für etwas anderes zu nehmen als 
für berechnet überschwenglich liebenswürdige Redewendungen, hinter 
denen die entgegengesetzten Wünsche und Ziele sich verbargen. Vor diesem 
Briefe schon war aus dem Munde des Kaisers jenes Wort gekommen, eine 
Zeitlang wolle er den Alten noch verschnaufen lassen, „dann regiere Ich 
allein‘, 
Weniger von Bedeutung ist, daß Wilhelm II. in den Jahren 1888 und 1889 
beständig gegen Bismarck beeinflußt wurde, von allen, die durch Ver- 
schwinden des großen Mannes irgendwie zu steigen oder zu gewinnen hofften. 
Die Arbeit hatte Erfolg: Auf seiner Mittelmeerreise in jenem Winter be- 
rührte es schon den Kaiser unangenehm, daß überall von Bismarck ge- 
sprochen wurde. Schon damals bestand also eine beinahe pervers anmutende 
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