Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Der Kaiser beziehungsweise König von Preußen, Wilhelm II., verlangte 
von Bismarck, daß er diese, wie.er sich später ausdrückte: ‚alte, vergilbte 
Order‘ außer Kraft setzte. Er, der König, nahm in Anspruch, jederzeit direkt 
mit den Ministern zu verkehren, Berichte von ihnen in Empfang zu nehmen 
und auch seinerseits ihnen direkte Weisungen zu erteilen, ohne sich selbst 
vorher mit dem Ministerpräsidenten darüber in Verbindung gesetzt zu haben. 
Bismarck weigerte sich, und es soll zu einem höchst erregten Auftritt ge- 
kommen sein. 
In seinem erzwungenen Abschiedsgesuch führt er zu diesem Punkte in der 
Hauptsache an: 
„In der absoluten Monarchie war eine Bestimmung, wie die Order von 
1852 sie enthält, entbehrlich und würde es auch heute sein, wenn wir zum 
Absolutismus ohne ministerielle Verantwortlichkeit zurückkehrten. Nach 
den zu Recht bestehenden verfassungsmäßigen Einrichtungen aber ist eine 
präsidiale Leitung des Ministerkollegiums auf der Basis des Prinzips von 
1852 unentbehrlich.‘ Seine Ministerkollegen hätten ihm erklärt, daß ohne 
diese Order keiner seiner Nachfolger die amtliche Verantwortung würde 
tragen können. Unter Kaiser Wilhelm I. und Friedrich III. habe es der An- 
wendung dieser Order nicht bedurft, weil über deren Vertrauen zu ihm kein 
Zweifel obgewaltet habe. 
Im Verlaufe jener Szene war es der Kaiser, der schließlich die Frage stellte, 
die zum Bruch führen mußte und sollte: Als Bismarck sich weigerte, die 
Order außer Kraft zu setzen, erwiderte der Kaiser :,, Auch nicht, wenn ich als 
Ihr Souverän es Ihnen befehle ?“ Bismarck verneinte wieder. Das Tragi- 
komische der Sache und nicht eben zugunsten des Kaisers ist die Tatsache, 
daß, nachdem es gelungen war, Bismarck durch wiederholten kaiserlichen 
Befehl zum Rücktritt zu zwingen, jene „vergilbte Order‘ nicht kassiert 
wurde, sondern ruhig in Kraft blieb. Auf die Sache also war es auch in 
diesem Fall dem Kaiser nicht angekommen, sondern auf die Person und den 
Bruch mit ihr. 
Als zweiten Hauptanlasses bediente sich der Kaiser des Vorwurfs, daß 
Bismarck, ohne ihn, den Kaiser, zu fragen, den Parteiführer des Zentrums, 
Windthorst, auf dessen Wunsch empfangen hatte. Wenn der Kanzler po- 
litische Führer empfangen wolle, so müsse er vorher die Erlaubnis vom 
Kaiser einholen. Angesichts der verfassungsmäßigen Stellung des Kanzlers 
war diese Forderung des Kaisers eine unbefugte und praktisch-politisch eine 
Unmöglichkeit, ein Unding. Auch enthielt die Zumutung ein beleidigendes 
Mißtrauen gegen die Politik des Reichsschöpfers. Schließlich hat sich nach- 
träglich gezeigt, daß die leutnantsmäßige Forderung des Kaisers: Bismarck 
hätte denZentrumsführer, ohne ihn anzuhören, ‚aus derTür werfen müssen“, 
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