Full text: Von Potsdam nach Doorn.

der Kaiser hat jenen Schritt getan — die Zeit allein kann erweisen, ob der 
Schritt richtig, ob er verantwortbar gewesen ist, so ist auch solche Zurück- 
haltung damals schnell überholt worden, und zwar nach der Verneinungs- 
seite hin. 
Rein realpolitisch müssen die Tatsache und vollends die brutal nervöse 
Form der Erzwingung sofortigen Rücktritts des Kanzlers als eine unverant- 
wortliche Leichtfertigkeit erscheinen, ganz abgesehen vom Verhalten des 
Kaisers gegenüber der Person Bismarck. Zu den wenigen, die das Ver- 
hängnisvolle der kaiserlichen Entscheidung und ihrer Form erkannten, ge- 
hörten der alte Feldmarschall Graf Moltke und der ebenfalls alte spätere 
Reichskanzler Fürst Hohenlohe. Beide standen über persönlichen Befürch- 
tungen und Hoffnungen; ihr Augenmerk war nur die Zukunft des Reichs. 
Es ist kaum möglich, zur politischen und persönlichen Entlastung des 
Kaisers seine Jugend anzuführen, schon weil er bereits seit Jahren mit stei- 
gender Ungeduld den Augenblick erwartete, der ihn auf den Thron führen 
würde. Berücksichtigt man auf der anderen Seite, wie außerordentlich 
günstig und hoffnungsvoll Bismarck und sein ältester Sohn den Kaiser 
beurteilten, bis die Meinungsverschiedenheiten kamen und das eigentliche 
Wesen Wilhelms II. sich nicht mehr verbergen ließ, so ist ebenfalls klar, daß 
der Reichskanzler und sein Sohn damals als selbstverständlich voraussetzten, 
daß der Prinz als Kaiser sich politisch, besonders außenpolitisch, vorwiegend 
als Lernender eingliedern werde. Daß der kommende Thronwechsel das Ende 
von Bismarcks Amtstätigkeit bedeuten solle, ist dem Manne, der Wilhelm 
dem Zweiten seinen Thron gebaut und unterbaut hatte, erst mitten in der 
entscheidenden Krisis klargeworden, während der Kaiser diese planmäßig 
herbeigeführt hat. Daß Wilhelm II. das über sich brachte, soll in diesem Zu- 
sammenhang moralisch nicht beurteilt werden, aber die auch hierin hervor- 
tretende politische und so ganz unstaatsmännische Leichtfertigkeit und 
Überheblichkeit muß unterstrichen werden. 
Es ist trotz allem e’staunlich, wenn nicht unbegreiflich, daß der Kaiser 
die Entlassung des großen Mannes in ihrer Tragweite nach innen und nach 
außen gar nicht bedacht, mithin auch nicht die Wirkungen und Folge- 
erscheinungen in Betracht zu ziehen versucht hat. In jener Äußerung vor 
seiner Thronbesteigung:: eine Weile werde er den Alten verschnaufen lassen 
und dann selbst regieren, ergibt sich die gleiche Auffassung wie aus der Ant- 
wort an den zweiten Kanzler, der Bedenken trug, die Nachfolgerschaft Bis- 
marcks zu übernehmen: ‚Sein Sie ohne Sorge, sie kochen alle mit Wasser, 
und ich werde die Verantwortlichkeit für die Geschäfte übernehmen.‘‘ Als 
Jahre nachher, nach Verabschiedung des Generalstabschefs Graf Schlieffen, 
des Kaisers bisheriger Generaladjutant von Moltke sich (der Neffe des 
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