Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Italien, in einen schweren Zollkrieg mit Frankreich verwickelt, erfuhr 
nicht die nötige politische Stütze in Berlin. England, anstatt Deutschland, 
vermittelte, und es folgte eine Annäherung zwischen Italien und Frankreich. 
Schon seit 1893 wuchs in Italien die Stimmung für weitere Annäherung an 
Frankreich und auch an Rußland. Beide Länder und England trieben mit 
Erfolg in Rom Intrigen gegen das Deutsche Reich : der Dreibund bestehe nur 
auf Kosten, nicht zu Nutzen Italiens. In Österreich-Ungarn nutzte die Wiener 
Diplomatie die Unerfahrenheit und Ungeschicklichkeit der neuen Männer in 
Berlin geschickt aus, mit jener Arroganz und äußeren Gewandtheit, die sich 
besonders während der letzten sechs bis sieben Jahre vor dem Weltkriege zu 
Deutschlands verhängnisvollem Nachteil, von Berlin mit Respekt begrüßt, 
breitmachen konnte. 
Die Besuche und Reden Kaiser Wilhelms in Rom konnten eine unfähige 
Politik nicht ändern, noch deren Fehler wieder gutmachen, und die senti- 
mentale, beinahe demütige Verehrung, die der Deutsche Kaiser dem Kaiser 
von Österreich entgegenbrachte, vermochte die Überheblichkeit der Wiener 
Staatsmänner und Diplomaten nur noch zu steigern. Der Kaiser von Öster- 
reich hat sich dem Deutschen Reich gegenüber niemals einen Anspruch auf 
Dank und Verehrung erworben. Wären 1870 nicht die deutschen Siege so 
schnell gekommen, so würde er an der Seite Frankreichs in den Krieg noch 
eingegriffen haben. 
Während Bismarck das Bündnis mit Österreich und den Dreibund als eine 
strategische Stellung bezeichnet hat, die man so lange behalte, wie sie nütz- 
lich sei, und im Gegenfalle durch eine andere ersetze, betrachtete Kaiser 
Wilhelm II. dieses Bündnis als eine sakrale Angelegenheit zwischen den 
beiden Monarchen. Er hatte sich in diese Betrachtung einer rein politischen 
Angelegenheit ebenso hineingedacht oder hineingeredet wie in die persön- 
liche, hingebende Verehrung für den Kaiser des buntscheckigen, brüchigen 
Habsburger Reichs. . 
Mit dem Amtsantritt Caprivis begann jene Politik, die Bismarck die der 
„wirtschaftlichen Trinkgelder“ nannte: der Reichskanzler von Caprivi 
glaubte, durch Handelsverträge außenpolitische Fehler und Einbußen aus- 
gleichen zu können, mit anderen Worten: durch wirtschaftliches Entgegen- 
kommen, gewissermaßen als Dank, von Österreich, von Italien und besonders 
auch von Rußland politisches Entgegenkommen zu erhalten. Abgesehen 
davon, daß diese Rechnung sich als ein naiver, schwerer Fehler erwies, war 
die Wirkung auf die inneren deutschen Verhältnisse verhängnisvoll. 
Diese Wirtschaftpolitik des neuen Reichskanzlers hatte weitgehend den 
Deutschen Kaiser zum eigentlichen Urheber. Als die Handelsverträge im 
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