wirtschaft. Die Gründe für diese Politik waren wirtschaftlich und politisch
begründet. Das galt jedenfalls für die Sozialdemokratie, für die Demokratie
zu einem Teil und ebenfalls für die große Masse auch des parteipolitisch
weniger interessierten Bürgertums. Für dieses bedeutete der Freihandel zu-
dem auch eine ‚Ideologie‘, nach der alten englisch-jüdischen Truglehre:
Freihandel beseitigt die ‚trennenden Schranken‘ zwischen den Nationen
und Staaten! So führt der Freihandel zum gegenseitigen Verständnis der
Völker untereinander und in weiterer Folge: der ganzen ‚Menschheit‘. Die
Völker lernen nicht nur einander kennen, sondern gewinnen damit auch
gegenseitiges Vertrauen und Freundschaft, und so legt der Freihandel ganz
selbsttätig die Grundlagen für einen dauernden Weltfrieden! Gerade der
freie Austausch bzw. Kauf und Verkauf von Gütern der Länder unterein-
ander fördert den Wohlstand auf allen Seiten, und die so auf gleicher Grund-
lage erwachsende Konkurrenz bildet einen edlen, friedlichen, freundlichen
Wettstreit um die Förderung der Zivilisation und Kultur. Niemand neidet
dem anderen seine Erfolge, vielmehr treiben sie jeden nur zu immer höheren
Leistungen an. Schutzzollpolitik dagegen errichtet trennende Schranken
zwischen den Nationen, schafft Mißtrauen und Mißstimmung und beseitigt
vor allem jenes edle Element der Freiheit und Gleichheit des internationalen
Wettbewerbs!
Diese Pseudoideologie war ein verführerisches Zauberlied für eine große
Masse deutscher Bürger, auch für den Deutschen Kaiser. Die Stellung Groß-
britanniens hat Bismarck 1879 in den Kämpfen für seine Schutzzollpolitik
kurz und erschöpfend gezeichnet.
„England hat die stärksten Schutzzölle gehabt, bis es unter deren Schutz
so erstarkt war, daß es nun als herkulischer Kämpfer heraustrat und jeden
herausforderte: Tretet mit mir in die Schranken. Es ist der stärkste Faust-
kämpfer auf der Arena der Konkurrenz ; es wird immer bereit sein, das Recht
des Stärkeren im Handel gelten zu lassen. Das Recht des Stärkeren gibt aber
der Freihandel, und England ist durch sein Kapital und durch die Lager von
Eisen und Kohlen, durch seine Häfen der Stärkste im Freihandelsfaustrecht
geworden; aber doch nicht allein durch seine günstige geographische Lage,
sondern nur dadurch, daß es solange, bis seine Industrie vollständig er-
starkt war, ganz exorbitante Schutzzölle dem Ausland gegenüber hatte.
Nun ist es stark genug und sagt zu den anderen: Nun kommt her, mit uns
frei zu streiten; ihr werdet doch nicht so töricht sein, ihr werdet doch euer
Geld unseren Produkten opfern. Das zauberische Wort ‚Freiheit‘ wird als
Kampfruf an die englische Überlegenheit geknüpft, und mit dieser Maske
werden unsere Freiheitsschwärmer an die Aushungerung und Ausbeutung
durch den ausländischen Handel gekirrt.‘
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