Full text: Von Potsdam nach Doorn.

nahm nur die Presse die Rede übel, und in Rußland erregte sie nur deshalb 
keine schwerere Beunruhigung, weil der Rückversicherungsvertrag mit 
Deutschland noch bestand. 
1895, als Wilhelm II., wie beinahe jedes Jahr, seine königliche Groß- 
mutter besuchte, wurde er von der englischen Regierungspresse sehr un- 
freundlich empfangen, anstatt ihn, wie in den vorhergehenden Jahren, 
freundschaftlich zu begrüßen: Wilhelm II. möge’die Gelegenheit benutzen, 
bei der Königin einige Unterrichtsstunden in politischer Weisheit zu nehmen. 
Zwar würde er es der Königin niemals gleichtun, aber man könne schon zu- 
frieden sein, wenn er sich seiner mütterlichen Abstammung würdig erweise. 
Die englische Regierung wünsche gute Beziehungen mit Deutschland, aber 
diplomatische Experimente des Kaisers wünsche man nicht; er möge be- 
denken, daß keine anderen diplomatischen Beziehungen so wertvoll seien 
wie solche mit Großbritannien. Und als eben damals der Kaiser auf der 
Reede von Cowes an Bord des Panzerschiffs ‚‚Wörth‘‘ — am Jahrestage der 
Schlacht bei Wörth — in einer Rede von dieser Schlacht sprach, warf ihm 
die englische Presse Taktlosigkeit vor und sagte: der Kaiser würde gutgetan 
haben, in britischen Gewässern eine Bezugnahme auf den Deutsch-Franzö- 
sischen Krieg zu unterlassen. — Was war in den vorhergegangenen Jahren 
geschehen, um eine derartige Veränderung des englisch-deutschen Verhält- 
nisses und damit der gesamten europäischen Lage hervorzurufen ? 
Als Anlaß wurde in der englischen Presse vielfach ein nicht eben bedeu- 
tendes koloniales Abkommen zwischen Frankreich und dem Deutschen 
Reich angegeben. Man vertrat den Standpunkt, daß es der deutsch-eng- 
lischen Freundschaft widerspreche, ein koloniales Abkommen selbständig, 
ohne England, abzuschließen. Die Hintergründe dieser plötzlichen, in ihrem 
Ausdruck beinahe feindseligen Entfremdung waren andere: 
Nachdem die Nichterneuerung des deutsch-russischen Neutralitäts- 
vertrages das damit isolierte Rußland in die Arme Englands und Frank- 
reichs getrieben hatte, gelang es schnell, das Verhältnis England-Rußland zu 
bessern. Der Prinz von Wales fuhr als Sonderbotschafter nach Petersburg, 
wurde dort sehr freundlich empfangen, und man gelangte zu einem Ab- 
kommen mit Rußland über Mittelasien, den Pamir-Vertrag, und ebenfalls zu 
einer langsamen Annäherung mit Frankreich. Schon begann die englische 
Presse vom ‚‚isolierten Deutschland“ zu sprechen. Die Staatsmänner Groß- 
britanniens konnten mit ihrem politischen und diplomatischen Erfolge der 
letzten vier Jahre zufrieden sein. Die große Autorität Europas brauchte man 
nicht mehr zu fürchten, denn der Kaiser hatte mit seinem, dem zweiten, 
Kanzler für England und gegen Deutschland Politik getrieben. Der Mohr 
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