auch nicht in den Adel und auch, trotz Sophie Charlotte, nicht in die
Fürstenhöfe.
Durchgesetzt hatte sich in Deutschland, soweit es nicht wieder katholi-
siert worden war, die Befreiung von der römischen Kirche. Die Philosophie,
die Wissenschaften waren nicht mehr die Magd der Theologie. Und doch,
welche Enge, welche Schwunglosigkeit und, vielfach, welche Flachheit;
dazu die ‚rabies theologorum !“
Die Größe, Kühnheit, Schärfe und Frische des Lessingschen Geistes aber
ist auch für uns Generationen des zwanzigsten Jahrhunderts lebendig ge-
blieben, ungeachtet aller Herabsetzung, die er durch Dühring und andere im
neunzehnten Jahrhundert erfahren hat. Schon die Kräftigkeit und Un-
abhängigkeit seiner Persönlichkeit als solche nimmt uns ein und erhebt uns,
vor allem sein Mut zur eigenen Meinung, der letzte Mut zu sich selbst, wie
der Norweger Ibsen vor fünfzig Jahren sagte.
Die weite Ebene aber, über die Lessing hinausragte, war so dürr, daß er
erst nachträglich von den Geistern, die ihm folgten, anerkannt wurde, zu
seiner Zeit aber in der Hauptsache durch die Juden, denen er im Geist der
Aufklärung in seiner Weise vorurteilslos gegenüberstand. Sie waren in seinen
Augen das auserwählte Volk der Geschichte, das Volk der Bibel und der
offenbarten Religion. So erschien ihm die unter Zwang gestellte Existenz der
Juden in Europa, in Deutschland als ungerecht, was man über ihre Eigen-
schaften sagte, und die Abueigung im Volke gegen sie als ein Vorurteil, das
man bekämpfen müsse. In diesem Sinne war Lessing Kosmopolit, Welt-
bürger: übrigens ein Wort und Begriff, dessen Ursprung und Zusammen-
setzung die naive Engigkeit der Bürgertumatmosphäre jener Zeit durch-
blicken läßt: sich eine Synthese aus dem unendlichen Kosmos, der Welt,
dem ‚Universum‘ und dem — Bürgertum zu konstruieren.
Man könnte sagen, das sei doch auch in anderen Ländern damals, nicht zum
wenigsten in Frankreich, so gewesen. Damit kommen wir auf einen grundsätz-
lichen und grundlegenden Unterschied, der erst heute überwunden ist:
Sprach das damalige Frankreich, in aller seiner Auflehnung gegen die
alten Autoritäten und Prinzipien, von Universum, Kosmos und Menschheit
und seit Ende des achtzehnten Jahrhunderts von Freiheit, Gleichheit und
Brüderlichkeit, so war und blieb immer als selbstverständliche und deshalb
die, nicht einmal erwähnte, Grundlage die Anschauung als Voraussetzung
aller solchen Betrachtungen: die französische Nation als die herr-
schende und zur Herrschaft in ihrem äußeren Leben und in ihren Taten
nicht nur, sondern auch auf allen Gebieten des Geistes für die anderen Völker
maßgebende Nation. Alle anderen Völker durften Spiegel des Ruhmes von
Frankreich sein.
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