Full text: Von Potsdam nach Doorn.

auch in der offiziösen Presse nicht, bestritten wurde. Dazu kommen folgende 
lirwägungen: Unmittelbar nach der Mitteilung von dem Mißerfolg des 
Dr. Jameson fuhr der Kaiser von Potsdam nach Berlin zum Reichskanzler 
Hohenlohe, um die Angelegenheit mit diesem zu besprechen. Hinzugezogen 
wurden der Staatssekretär des Auswärtigen, Freiherr von Marschall, der 
Staatssekretär des Reichsmarineamtes und Freund desKaisers, Admiral Holl- 
mann, und der Leiter des Kolonialamtes, Dr. Kayser. Während der Be- 
sprechung ist der Gedanke der Depesche an Krüger entstanden, wahrschein- 
lich auf Drängen des Kaisers: man müsse sofort etwas tun. Es besteht noch 
eine andere, nicht unwahrscheinliche Version des Londoner Botschaftsrates 
Freiherr von Eckardtstein: der Kaiser habe von vornherein die Depesche ge- 
wollt und deshalb diesen hohen Rat zusammengerufen. Fest steht außerdem, 
daß Dr. Kayser mit dem Entwurf des Textes betraut wurde und der Kaiser 
sie gleich unterzeichnete. 
Daß Hohenlohe und Marschall von sich aus gedrängt hätten, ist unwahr- 
scheinlich, ganz besonders, was den alten, sehr vorsichtigen Hohenlohe an- 
langt, der überdies mit Königin Victoria in alten freundschaftlichen Be- 
ziehungen stand. Außerdem ist die von Wilhelm II. in seinen ‚‚Erinne- 
rungen‘‘ behauptete ‚heftige Erregung‘‘' in der deutschen Bevölkerung da- 
mals nicht vorhanden gewesen. Ebensowenig wahrscheinlich ist, daß der 
Kaiser sich gesträubt habe und erst nachgegeben habe, gegen seine eigene 
Überzeugung!, als Hohenlohe und Marschall die Kabinettsfrage gestellt 
hätten. Da habe er nachgegeben, obgleich er sich der schlimmen Folgen, in 
seiner genauen Kenntnis des englischen Temperaments, bewußt gewesen sei. 
Auch das istschwerlich glaublich, schon weil Wilhelm II. sich in den neunziger 
Jahren, wenn ihn irgendein Impuls überfiel, ohne weiteres über die Ab- 
mahnungen seiner Ratgeber hinwegzusetzen pflegte. Ferner ist zu fragen, 
weshalb bei dem Eintritt des großen englischen Schimpfsturms nicht der 
Reichskanzler pflichtgemäß öffentlich hervortrat mit der Feststellung, es 
handele sich nicht um eine impulsive Handlung des Kaisers, sondern um eine 
wohlerwogene Amtshandlung des Kanzlers im Namen der Regierung. Erheb- 
lich später hat Wilhelm II. sich angesichts der wiederholten Erörterungen 
über den Ursprung der Krüger-Depesche dahin geäußert: nun werde sein 
Freund Hollmann, dem er erlaubt habe, die volle Wahrheit zu enthüllen, 
über den Ursprung der Krüger-Depesche aussagen. Die Welt hat vergebens 
gewartet, denn Hollmann hat geschwiegen. 
Die Sache selbst ist seit vierzig Jahren tot, und die Einzelheiten an sich 
sind nicht mehr von politischem Interesse. Um so charakteristischer und 
lehrreicher ist sie psychologisch. Wir begegnen derselben Haltung des Kai- 
sers bei einem Vorfall in der Geschichte der kaiserlichen Marokko-Politik: 
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