drohen und ihm die überseeische Zufuhr abzuschneiden. Ein weiterer Schritt
auf demselben Wege war die Schwächung des Dreibundes durch Gewinnung
Italiens für bessere Beziehungen; dies gelang, beinahe zugleich, sowohl
Frankreich wie England. Beide Mächte versicherten in Rom, daß sie weder
damals noch für später Absichten auf Tripolitanien hätten und Italien freie
Hand dort lassen würden, aber italienische Neutralität im europäischen
Kriege erwarteten.
In Deutschland stand man jener stillen, entscheidenden Frontwendung
der französischen Außenpolitik zunächst ahnungslos gegenüber. Man war
überzeugt, Frankreich sinne auf Rache gegen England wegen Faschoda,
und um die Jahrhundertwende träumte man von deutsch-französischer Ver-
söhnung.
Um das Jahr 1902/03 hatten sich die maßgeblichen Persönlichkeiten in
London und Paris genügend verständigt, um die große Wendung auch für
die Außenwelt hin vorzubereiten: Eduard VII. von England machte seinen
Besuch in Paris, der Präsident Loubet der Französischen Republik erwiderte
ihn, die Annäherung war damit ein öffentliches Ereignis geworden. Im
Frühjahr 1904 veröffentlichten die beiden Mächte das sogenannte Marokko-
Abkommen. Der Name wurde dadurch gerechtfertigt, daß Großbritannien
seine politischen Interessen in Marokko an Frankreich abtrat, ihm dort freie
Hand ließ, während Frankreich die englische Vormachtstellung in Ägypten
anerkannte. Auch andere, fernliegende bisherige Streitfragen auf kolonialem
Gebiet wurden im Marokko-Abkommen geregelt, ebenfalls das Verhältnis
Spaniens in und zu Marokko. Das Abkommen wurde veröffentlicht, jedoch
war bald bekannt, daß auch ein geheimer Teil vorhanden war. Wie immer in
solchen Fällen verkündeten beide Mächte: selbstverständlich habe das Ab-
kommen keine Spitze gegen irgendeine andere Macht, sondern bezwecke nur,
ein neues Pfand zur Erhaltung des europäischen Friedens zu liefern durch die
Beseitigung aller bisherigen gefährlichen Reibungsflächen zwischen den
beiden Westmächten. Die eigentliche Bedeutung des Abkommens lag nun
nicht in seinem Inhalt, so wichtig dieser an sich auch war, sondern eben in
der Tatsache, daß es hatte geschlossen werden können, daß an die Stelle der
bisherigen schlechten Beziehungen die Entente cordiale zustande ge-
kommen war. Zur damaligen internationalen Stellung in Marokko ist zu be-
merken: Im Jahre 1880 fand zu Madrid eine internationale Marokko-Kon-
ferenz statt. Hier wurde beschlossen: die Anerkennung aller auf der Kon-
ferenz vertretenen Nationen bezüglich des Rechtes der meistbegünstigten
Nation durch Marokko. Der Sultan von Marokko wurde durch die Madrider
Konferenz als unabhängige Macht behandelt und anerkannt.
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