Full text: Von Potsdam nach Doorn.

Ein Überblick dieser „Ersten Marokko-Krisis“ ergibt folgendes: 
Es war nicht unbedingt notwendig, der Delcasseschen Aktion entgegen- 
zutreten, weder um der Interessen noch um der Würde des Deutschen 
Reiches willen. Man konnte angesichts des Abschlusses der Entente cordiale 
und des veröffentlichten Marokko-Abkommens die Position: Marokko von 
vornherein abstreichen, auch in der Gewißheit, daß Deutschland mit Frank- 
reich, schon wegen der geographischen Lage Marokkos, auf die Dauer weder 
politisch noch wirtschaftlich konkurrieren könne. Außerdem mußte man 
sich, schon nach dem bisherigen Verhalten Englands, sagen, daß dieses unter 
keinen Umständen Deutschland an irgendeinem Teil der atlantischen Küste 
Marokkos dulden werde. Gerade dies aber ist noch Jahre nachher in der 
Wilhelmstraße nicht begriffen worden. 
Man konnte schließlich auch für alle Fälle Protest gegen das englisch- 
französische Marokko-Abkommen einlegen und diesen Protest bei Gelegen- 
heit je nach künftiger Opportunität geltend machen oder nicht. Freilich 
durfte man dann nicht nach Tanger fahren. 
Mit anderen Worten: Zu Anfang war die Marokko-Angelegenheit keine 
Xrage des Ansehens und der Ehre Deutschlands und stand auch hinsichtlich 
der Handelsinteressen nicht in der ersten Linie. Wollte man aber aus 
Marokko eine solche Angelegenheit machen, zum Beispiel wegen der eng- 
lisch-französischen Einigung, dann mußte man diesen Ausgangspunkt und 
diese Linie bis zu Ende fest- und durchhalten, denn dann ging es nicht ‚um 
Marokko‘, auch wenn man Marokko sagte, und dann durfte man nicht 
nach dem großen Paukenschlag von Tanger kalte Füße bekommen und er- 
klären: um Marokko führe man keinen Krieg. 
Seit 1905/06 machte man sich in Frankreich keinerlei Illusion mehr über 
den Deutschen Kaiser; Eduard von England hatte sich über die Naturseines 
Neffen nie getäuscht. Man erblickte in ihm nicht mehr den Mann, hinter 
dessen starken Worten und großen Gesten starke Entschlüsse und Hand- 
Jungen standen. Damals, nach der Konferenz, erhielt Wilhelm II. in Frank- 
reich den Ehrennamen ‚‚Wilhelm der Furchtsame“ (,‚Guilleaume le timide‘“‘), 
und man sprach von den Hunden, die bellen, aber nicht beißen. Über die 
Meinungsverschiedenheiten in der deutschen Außenpolitik war man in 
Frankreich und England vollkommen unterrichtet und handelte danach. 
Die englische Presse sprach sich ungeniert mit Geringschätzung über den 
Kaiser aus und spottete über seine Depeschen und Reden. König Eduard 
nannte ihn ‚William the witless‘“. 
Es ist gewiß in vielen Fällen ein Lob und eine Anerkennung für einen 
Mann, auch einen Staatsmann und einen Monarchen, von ausländischen 
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