bis 1895 hatte sogar ein Bündnis bestanden. Es war aber eine wechselnde,
schwankende Politik, die die Wiener Staatsmänner und Diplomaten gerade
Serbien gegenüber trieben. Zugleich eine Politik schwer begreiflicher, sehr
törichter Unterschätzung des heroischen serbischen Volkes. In österreichi-
schem Munde gab es keine Ausdrücke der Beschimpfung und Verachtung,
die stark genug gewesen wären, um diese Geringschätzung auszudrücken.
Die entscheidende Wendung für Serbien, für die Politik der Balkanvölker,
für Rußland, für Österreich-Ungarn, und in weiterer Folge für Europa, trat
mit der 1903 erfolgten Ermordung des Königs Alexander von Serbien durch
die Anhänger seines Nachfolgers Peter Karageorgewitsch ein; Peter war der
Mann Rußlands, des allslawischen Gedankens, des großen serbischen Staats-
mannes Pasitsch und des serbischen Volks. Pasitsch hatte schon früher einen
Bund der Balkannationen bei dem vorletzten König Milan als Leitlinie der
Politik Serbiens vorgeschlagen, mit der Parole: „Der Balkan den Balkan-
völkern!‘ Befreiung der Balkanvölker von Konstantinopel und Wien und
Zusammenschluß der Slawen um und unter Rußland. Die Verkündung.dieser
Idee zündete in Serbien und im ganzen Südslawentum, man war leiden-
schaftlich einig gegen den gehaßten Unterdrücker und Nationalfeind Öster-
reich-Ungarn. Ziel wurde die Befreiung der Okkupationsgebiete und schließ-
lich die Herstellung des großen südslawischen Reiches, wie es einst im Mittel-
alter unter Stephan Duschan gewesen sei. Mit der Klarheit über das Ziel
wuchs das nationalvölkische Selbstbewußtsein, und es begann jene geheime
intensive Propaganda, die von Jahr zu Jahr mehr die Nation durchdrang,
der Doppelmonarchie immer größere Schwierigkeiten und Sorgen ver-
ursachte, in der Tötung des Erzherzog-Thronfolgers Franz Ferdinand ihren
Gipfel erreichte, die zum mittelbaren Anlaß für den Beginn des Weltkrieges
geworden ist.
Schon sechs Jahre vorher, im inhaltreichen Jahre 1908, trat ein für die
Steigerung der antiösterreichischen Propaganda entscheidendes folgen-
reiches Ereignis ein:
Der österreichisch-ungarische Außenminister, Freiherr Lexa von Aehren-
thal, jüdischer Abkunft, früher nur Lexa mit Namen, verkündete im Januar
1908 der (auch in Berlin) überraschten Welt: die Regierung habe sich ent-
schlossen, eine Eisenbahn von den Südgrenzen des Reiches bis Saloniki zu
bauen, durch Verlängerung der bereits vorhandenen bosnischen Bahn nach
Süden. Aehrenthal stand dabei auf dem Boden des Berliner Vertrages von
1878, Österreich-Ungarns Recht war unbestreitbar. Die anderen Mächte, an
der Spitze London und Petersburg, wußten nur zu sagen, daß das öster-
reichische Vorgehen dem Geiste eines ‚„uneigennützigen internationalen Zu-
sammenwirkens‘‘ widerspreche, außerdem sei der Bahnplan nur dem An-
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