Full text: Von Potsdam nach Doorn.

dererseits wollten im damaligen Augenblick Rußland und England ihren 
alten Streit um Konstantinopel und die Meerengen nicht akut werden lassen. 
Im weiteren Verlaufe führten dann Konflikte zwischen den siegreichen 
Balkanstaaten zum zweiten Balkankrieg;; ihn entschied Rumänien, das sich 
vorher mit intakten Streitkräften außerhalb gehalten hatte, durch seine 
Dazwischenkunft. 
Das Ergebnis der Balkankriege war im ganzen: ein sehr großer Gebiets- 
verlust für die Türkei und Bulgarien, eine außerordentliche Gebietsvermeh- 
rung und Stärkezunahme für Serbien, eine geringe Gebietsvermehrung, bei 
großem Zuwachs an Ansehen, für Rumänien, eine große Gebietsvermehrung 
für Griechenland und Schaffung eines unabhängigen Albanien. 
Für Deutschland und für Österreich-Ungarn war die so entstandene Lage 
eine höchst unerfreuliche: die beinahe vollständige Verdrängung der Türkei 
aus Europa traf die ganze deutsche Orientpolitik empfindlich, außerdem das 
deutsche Prestige, auch deshalb, weil die. Berliner Einschätzung der Macht 
und Kraft der Türkei sich als so vollkommen unrichtig erwiesen hatte. Dazu 
kam die Propaganda der Franzosen, daß die Krupp-Geschütze der Türken 
sich den mit französischen Creusot-Geschützen ausgerüsteten Balkanstaaten 
unterlegen gezeigt hätten. Die Haltung des Deutschen Reiches war zu aus- 
gesprochen auf seiten Österreich-Ungarns gewesen, um nicht im Jugoslawen- 
tum als feindlich angesehen zu werden. Dieses, in seinem Selbstbewußtsein 
und im Gefühl seiner Kraft mächtig gewachsen, hatte durch den erfolg- 
reichen Krieg einen weiteren mächtigen Antrieb gewonnen zu seinem großen 
völkisch-nationalen Ziel: die in den Habsburger Staat eingegliederten, von 
ihren Volksgenossen bewohnten Gebiete zu befreien. Der serbische Minister- 
präsident sagte: ‚Der erste Erfolg ist errungen, nun kommt der zweite gegen 
Österreich !“‘ 
Pasitsch und seine Helfer wußten, daß Serbien eine große innere Stärke 
und militärische Tüchtigkeit besaß, daß jedem Serben das Ideal der Ver- 
einigung aller Jugoslawen, Befreiung vom Joch des Habsburger Staates, jedes 
Opfer wert war. Der serbische Ministerpräsident wußte, daß England durch 
Rußland, sobald es den Augenblick gekommen glaubte, den europäischen 
Krieg entfesseln werde, und zwar von der Balkanhalbinsel aus. In der logi- 
schen Reihenfolge: Konflikt zwischen Serbien und Österreich-Ungarn, Ein- 
treten Rußlands für Serbien und damit gegen Österreich-Ungarn, in weiterer 
Folge gegen Deutschland, dann Inkrafttreten des russisch-französischen 
Bündnisses und gleichzeitig Eingreifen Großbritanniens! 
In dieser verbürgten Zuversicht setzte das serbische Volk seine alle Kräfte 
anspannende nationalvölkische Freiheitserhebung mit erneuter äußerster 
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