gegangen wäre, die Bundesstaaten nicht so zusammengewachsen wären,
wie es im Laufe der Jahrzehnte auf der Grundlage des Bismarckschen Ver-
fassung der Fall gewesen ist. Die so allmählich angebahnte Überwindung der
trennenden Kräfte des Partikularismus haben Weltkrieg und Zusammen-
‚bruch unter Beweis gestellt.
Im Jahre 1891 machte der Kaiser einen Besuch in München und schrieb in
das Goldene Buch der Stadt: ‚„Regis voluntas suprema lex‘“ (Des Königs
Wille ist das höchste Gesetz). Hierüber erhob sich in Bayern und in ganz
Deutschland großer Lärm: das sei ein Bekenntnis zum Absolutismus, und
einen solchen Standpunkt auch nur auszusprechen, bedeute im Munde des
Kaisers und Königs von Preußen zum mindesten ideell einen Verfassungs-
bruch. Der in des Kaisers Spruch liegende Anspruch bedrohe ebenso die Be-
völkerungen der Bundesstaaten wie deren Fürsten, wie das Reich. In Bayern
fand man sich besonders verletzt und vor den Kopf gestoßen, weil vorher der
vom bayrischen Volk geliebte König Ludwig II. in Geistesstörung seinen
Tod gefunden hatte, sein geistesgestörter Bruder regierungsunfähig war und
an seiner Stelle, als Prinzregent, Prinz Luitpold stand. Die bayrische Be-
völkerung fühlte sich mißfällig berührt und glaubte hinter jenen Worten als
Absicht des Kaisers zu sehen, daß er, als König und Kaiser, auch über Bayern
schrankenlos herrschen wolle. Dieser Vorgang begab sich anderthalb Jahre
nach der Entlassung Bismarcks. So lag gerade für das ohnehin mißtrauische
Bayern der Gedanke nahe: kaum ist Bismarck fort, so will der Kaiser schon
an unsere verfassungsmäßigen Rechte heran! Das Wort: der Kaiser wolle die
Bundesstaaten und, in erster Linie, Bayern jetzt ‚‚verpreußen‘, verstummte
seitdem nicht mehr.
Ein anderes Mal fand sich der spätere König Ludwig III., damals Prinz
Ludwig von Bayern, der mit anderen deutschen Fürsten zur Krönung des
Zaren nach Petersburg geschickt war, veranlaßt, dort in öffentlicher Rede zu
erklären: die deutschen Fürsten seien keine Vasallen des Deutschen Kaisers,
sondern seine gleichberechtigten Bundesgenossen. Wieder ein anderes Mal
mischte sich Wilhelm II. in innere parlamentarische Angelegenheiten
Bayerns. Takt und Psychologie fehlten ihm, sonst hätten ihn schon diese
Eigenschaften abhalten müssen, gerade den empfindlichsten deutschen Bun-
desstaat, dessen Bevölkerung den Malefizpreußen auch nicht eben geneigt
war, wieder und wieder irgendwie auf die Füße zu treten.
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