Inı ganzen Reich erregte die Behandlung schweren Anstoß, die der Kaiser
dem Grafregenten zu Lippe-Detmold angedeihen ließ.
Zwischen den Häusern der fürstlichen Familie Lippe war ein Erbfolge-
streit eingetreten, der Rechtsstreit war im Gange. Bis zu dessen Entschei-
dung regierte der Grafregent. Wilhelm II. stand auf der Seite des anderen,
ihm durch Heirat nahestehenden Anwärters auf das Fürstentum Lippe-
Detmold und hatte es dem Regenten schon sehr übelgenommen, daß er nicht
ohne weiteres seinem Rivalen den Vortritt gelassen hatte.
Sachlich und aus der Ferne beurteilt erscheint heute das Drama Lippe-
Detmold als eine komische Bagatelle; damals bedeutete es außerdem ein
Symptom politisch bedenklicher und keineswegs unwichtiger Art:
Im Sommer 1898 wurde ein Schriftwechsel zwischen dem Grafregenten
von Lippe-Detmold und dem Kaiser veröffentlicht. Es drehte sich um fol-
gendes: Der Grafregent hatte mit Antritt seines Regentenamtes den Zu-
gehörigen seiner Familie den Titel ‚„Erlaucht‘‘ verliehen und verlangte
daraufhin, daß auch diesen militärische Ehrenbezeigungen gemacht werden
müßten. Der Kommandierende General gab entsprechenden Befehl, und
alles schien in Ordnung zu sein, als plötzlich die militärischen Ehrenbezei-
gungen unterblieben und der Kommandierende General dem Grafregenten
mitteilte: der Kaiser habe es verboten. Der Grafregent richtete darauf eine
ehrerbietig abgefaßte Bitte und Vorstellung an den Kaiser mit einem Appell
an dessen Gerechtigkeitssinn: er möge die Gnade haben, ‚‚durch ein Kaiser-
liches Machtwort einem solchen Eingriff in die Rechte eines Landesfürsten
Einhalt zu tun‘ Die Eingabe war in ebenso bescheidenem wie würdigen
Ton abgefaßt. Daraufhin erhielt der Grafregent die folgende telegraphische,
nicht chiffrierte Antwort:
„Ihren Brief erhalten, Anordnungen des Kommandierenden Generals ge-
schehen mit Meinem Einverständnisse nach vorheriger Anfrage. Im übrigen
will ich Mir den Ton, in welchem Sie an Mich zu schreiben für gut befunden
haben, ein für allemal verbeten haben. W.R.“
Der Grafregent legte hierauf in einem Rundschreiben an alle deutschen
Bundesfürsten die folgende Rechtsverwahrung ein:
„Ich kann vor Gott und den deutschen Fürsten der Wahrheit gemäß be-
zeugen, daß ich von der ersten Stunde meines Regentschaftsantrittes an be-
müht gewesen bin, eine gnädige Gesinnung Seiner Majestät zu gewinnen und
die Treue zur Allerhöchsten Person des Trägers der deutschen Kaiserkrone
und auch vor meinem Lande bei dieser Gelegenheit zu bekennen. Ich muß
aber ebenso wahrheitsgemäß vor Gott und den deutschen Fürsten zu
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